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"Wir sollten deutlich mehr Trainingsplätze haben"

(20.12.2018) AKTIV: Im AMS ist gerade ein Paradigmenwechsel im Gange. Unter Einsatz von Big Data wird ein Algorithmus etabliert, der die konkrete Integrationswahrscheinlichkeit in den Arbeitsmarkt von allen AMS-KundInnen individuell berechnet. Was bedeutet das fürs AMS Wien und was können sich die KundInnen des AMS Wien erwarten?
Göschl: Der Ausgangspunkt der Überlegungen war, die Arbeitsmarktförderungs-Mittel effektiver einzusetzen. Es ist auch der Wunsch des Vorstands, mit den Mitteln insofern sorgsamer umzugehen, als auch die Arbeitsmarktintegration im Anschluss an die jeweilige Fördermaßnahme stärker im Fokus stehen soll. Erhebungen von 2017 zeigen, dass man bei allen Maßnahmen für Menschen im sogenannten niedrigen Segment gerade einmal auf 13% Arbeitsmarktintegration gekommen ist. Derzeit sind die Personen im M-Segment besonders begünstigt, also überproportional beteiligt an der Arbeitsmarktförderung: 2017 haben wir ca. 36% unserer Fördermittel für Personen mit niedrigen Integrationschancen ausgegeben, 57% für Menschen mit mittleren Integrationschancen. Das Problem ist, dass wir in Wien zu viele Personen im niedrigen Segment haben. Da könnte man durchaus auch drüber diskutieren, ob man die Latte niedriger legt. Wir haben aktuell 63.000 Personen mit niedrigen Integrationschancen, das sind rund 41% der Vorgemerkten, 54% sind im mittleren Segment und nur 4% im hohen Segment. Da meinen wir, dass speziell die H-Gruppe zu klein ist und die N-Gruppe zu groß. Es soll aber anteilsmäßig kein Geld bei den Personen mit niedrigen Integrationschancen weggenommen werden.

AKTIV: Wie ist die Entwicklung, wenn man die Aufwendungen für das niedrige Segment im Vergleich anschaut?
Göschl: 2017 hatten wir 173 Mio. Euro im niedrigen Segment, das Budget 2019 wird sich etwa in der Höhe von 2017 bewegen. 2017 haben wir 478 Mio. Zahlungen geleistet. Ich nehme einmal an, es wird 2019 keine großen Unterschiede geben: Wir werden wahrscheinlich ca. 460 Mio. bekommen, das ist aber noch nicht fix.
 
 

Winfried Göschl, stellvertretender Geschäftsführer des AMS Wien (Copyright AMS Wien/Petra Spiola)

AKTIV: Was die Programmierung der Angebote anbelangt, was heißt das fürs N-Segment – deren Anteil bleibt gleich?
Göschl: Fürs N-Segment bleibt’s gleich, wir werden sehen, wie es sich entwickelt, wie die Einspielung der Indikatoren das Verhalten unserer MitarbeiterInnen doch ändert. Es gibt für 2019 kein Zubuchungsverbot zu Transitarbeitsplatzen oder zu höherwertigen Schulungsmaßnahmen. Aber es ist notwendig, sich schon genauer anzuschauen, was man tut und für wen man es tut. Das wird Effekte haben. 

AKTIV: Was heißt das für die AMS-KundInnen? Können sie mit einem gut argumentierten, fundierten Vorschlag zu ihrem/r AMS-BeraterIn gehen und sagen: „Das wäre für mich sinnvoll und das würde mich weiterbringen“?
Göschl: Also, wenn jemand im niedrigen Segment ist und kommt mit einem guten, plausiblen Vorschlag, der zur Vorkarriere passt, dann wird man ihn/sie zum Beispiel trotzdem in eine Facharbeiter-Intensivausbildung (FIA) schicken. Wenn er oder sie das Auswahlprocedere übersteht, dann sagen wir „Na, dann stufen wir ihn/sie um“. Das wäre ein Zugang für die Umstufung, aber da müssen erst bundesweite Regeln erarbeitet werden. Bis dahin sind wir eher defensiv mit der Umstufung.

AKTIV: Dennoch ändert sich die arbeitsmarktpolitische Strategie für das N-Segment.
Göschl: Ja, es geht ein bisschen weg von den Transitarbeitsplätzen und höherwertigen Qualifizierungen hin in Richtung BBE-Betreuung, was per se nicht negativ ist. Wir werden sehen, wie sich das auswirkt. Wir werden auch sehen, welche Erfahrungen wir gewinnen, und was das heißt, wenn wir das für eine größere Anzahl an Personen einsetzen. Die BBE-N, diese speziellen BBEs, die müssen wir ohnehin noch aufsetzen.

AKTIV: Die BeraterInnen sehen am Schirm die Prozentzahl der Integrationswahrscheinlichkeit. Wie erfährt das der/die KundIn?
Göschl: Wenn er oder sie danach fragt.

AKTIV: Sonst nicht?
Göschl: Eher nicht. Wir werden es nicht offensiv kommunizieren, auch weil wir gesagt haben, es sollte im nächsten Jahr nur sehr bedingt Handlungsanleitung sein. 2019 sollen einfach Erfahrungen mit dem neuen „System“ gesammelt werden. Das heißt nicht, dass alle Förderzugänge verändert werden. Das ist ein Thema, das im nächsten Jahr gestaltet und bearbeitet wird. Es hat momentan noch keine Konsequenzen – dass es natürlich das Verhalten der BeraterInnen ändern kann, will ich nicht zu 100% ausschließen. Aber man muss fairerweise sagen, die Vorkarriere hätten sie sich jetzt auch schon anschauen müssen. Da braucht man kein Prophet sein - ab einer gewissen Dauer der Arbeitslosigkeit war auch vorher schon relativ klar, wo die Leute eingestuft worden wären. Positiv ist, dass man auch die Gründe, die Haupttreiber für die niedrige Einstufung sieht. 

AKTIV: Wird das dann in Schlagwortform dabeistehen – steht da zum Beispiel „gesundheitliche Einschränkungen“?
Göschl: Es sind im Wesentlichen zehn Indikatoren, die relevant sind und die den stärksten Einfluss auf die Einstufung ins einzelne Segment haben. Die Jugendlichen unter 25 sind per Definition ausgenommen. Selbst wenn da 1% steht beim langfristigen Erfolg, sind sie trotzdem im sogenannten M-Segment. Insgesamt macht es sicher Sinn, genauer hinzuschauen. Herbert Buchinger hat den Eindruck, dass die gesamte Arbeitsmarktförderung gefährdet ist, wenn wir in die Richtung „Maßnahmeneffektivität“ nichts tun. Und da geb‘ ich ihm recht. Man muss bewusster Schritte setzen. 


AKTIV: Es wurde schon erwähnt – Hochstufung ist eine Option. Wie soll eine Aufstufung vonstattengehen?
Göschl: Es sollte prinzipiell über eine BBE-N laufen, die eine Abwandlung der step2job-BBE sein wird, die’s in Wien aber noch nicht gibt.

AKTIV: Also über positive Berichte über die Integrationschancen und zum Verhalten?
Göschl: Aus den anderen Bundesländern wissen wir, dass rund ein Viertel nach dieser Betreuung aufgestuft worden ist. Wir wollen das nicht ausschließlich in diesen BBE-N machen, sondern bei allen vergleichbaren Beratungs- und Betreuungseinrichtungen oder anderen Maßnahmen. Das wäre zumindest unser Zugang. Ob der bundesweit geteilt wird, ist noch nicht klar. Wenn ich jemanden beispielweise in eine SÖBÜ-BBE gebe und die sagen, sie nehmen ihn auf einen Transitarbeitsplatz, wäre das ein klassischer Grund zum Umstufen. Wenn er zu einer FIA geht und die Aufnahme schafft, dann würde ich ihn/sie auch umstufen. Da muss er oder sie ohnehin gewisse Voraussetzungen mitbringen. Solche Aspekte wären für mich klassische Gründe zum Umstufen. Die BBE-N sind primär zur Stabilisierung gedacht, da steht der Vermittlungsauftrag nicht im Vordergrund. Einer der Gründe, warum wir sie zum größten Teil bei den step2job anhängen wollen, ist, dass wir dann beide Schienen zur Verfügung haben: die Stabilisierungsschiene und, wenn die Personen dann so weit sind, dass man sie umstufen kann oder wenn Vermittlungschancen bestehen, dann können sie wechseln – mit oder ohne Umstufung. Das wären für mich klassische Wege, damit das nicht zur Sackgasse wird.

AKTIV: Deutlich ist, dass Wien österreichweit von dieser Strategie am meisten betroffen ist. Hinzu kommen die Kürzungen im Förderbudget des AMS. Was bedeutet das für die arbeitsmarktpolitische Angebotslandschaft in Wien?
Göschl: Die Einsparungsmaßnahmen, die im heurigen Jahr gemacht werden mussten, sind primär nicht überproportional auf das N-Segment gegangen. 2019 werden wir deutlich mehr bei den Deutschkursen kürzen. Da kehren wir auf das Niveau vor der Flüchtlingswelle zurück, da haben wir rund 20.000 Deutschkurse gehabt. Heuer und in den letzten zwei Jahren hatten wir zirka doppelt so viele – größtenteils finanziert aus den „Asyl“-Mitteln. Da haben wir geschaut, dass die Hälfte davon für die Asylberechtigten ist – das werden wir jetzt aufgeben. Die sind wie alle anderen Arbeitslosen.

AKTIV: Die Zielgruppe gibt’s dann so nicht mehr?
Göschl: Gibt’s de facto nicht mehr. Wir haben noch ein paar Spezialmaßnahmen, aber die stehen potenziell auch anderen als den Asylberechtigten zur Verfügung – die Nostrifikations- und Anerkennungsschiene ist ja nicht nur für Flüchtlinge.

AKTIV: Wenn man 2018 mit 2019 vergleicht, wie ist das Bild?
Göschl: Die größten Einsparungen gibt’s bei den Deutschkursen, da sparen wir rund 25 Millionen, wir werden noch 60 bis 70 Millionen bei den Zahlungen runter müssen. Wir haben (Ende November, Anmerkung) noch kein fixes Budget, aber das ist das, womit ich rechne. Die Jobwerkstatt wird ganz eingestellt. Zudem haben wir Kürzungen bei anderen Kursmaßnahmen, aber nicht bei den höherwertigen Ausbildungen. Bei den FIA werden wir keine Einsparungen vornehmen. Ein bisschen bei den SÖB, indem wir einerseits die Kontingente bei den SÖBÜ zurückfahren und insgesamt weniger Teilnahmen ermöglichen. Bei den herkömmlichen SÖB haben wir – vor allem bei den zwei großen – einen Teil der Transitarbeitsplätze in Trainingsplätze umgewandelt.

AKTIV: Was ist die Intention der Trainingsplätze?
Göschl: Trainingsplätze dienen grundsätzlich auch zur Stabilisierung, zur Gewöhnung an die Arbeit, der Vermittlungsauftrag steht nicht im Vordergrund. Menschen aus dem N-Segment sollen längerfristig auch weiterhin Chancen haben, in einen SÖB zu kommen. Wir haben ja nichts dagegen, wenn SÖB sagen, sie übernehmen jemanden von einem Trainingsplatz auf einen Transitarbeitsplatz, aber dann sollen sie das bewusst tun - wenn sie tatsächlich Aussichten auf eine Vermittlung sehen, sonst eher nicht. Sonst sollten sie das eher den Leuten zu Gute kommen lassen, bei denen man eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Wenn sich Leute einmal integriert haben, passieren manchmal überraschend positive Geschichten. Das kann man auch von den BBE-N berichten und von unseren step2job-BBE, die haben bessere Erfolgsquoten als die SÖB, und zwar deutlich. In dieser Form der Betreuung könnte man deutlich mehr anbieten, weil mit unseren 800 Transitarbeitsplätzen – wenn ich jetzt die SÖBÜ wegnehme –, da hupfst bei 63.000 Personen im N-Segment nicht wirklich weit.

AKTIV: Angesichts der Entwicklungen – wie sehen Sie die Zukunft der Beschäftigungsprojekte oder dieser Art geförderter Beschäftigung im Transitarbeitsverhältnis?
Göschl: Ich glaube, wir sollten noch deutlich mehr Trainingsplätze haben, wenn man diese Strategie ernst meint. Das heißt, es wird in die Richtung gehen, ganze Trainingsprojekte zu schaffen, weil das oft sinnvoller als die Mischform ist. Wir wollten heuer schon ein Projekt komplett umwandeln. Von der Zielgruppe her hätte das ganz gut gepasst, aber derzeit ist das im SÖB-Rahmen nicht zulässig. Ich hoffe, dass sich das ändert. Was man sicher überlegen muss, ist, ob man bei den Trainingsprojekten nicht die Wochenstunden erhöht. Allerdings brauchen wir ohne DLU auch weniger Geld dafür. 

AKTIV: Für die SÖB, die fast die Hälfte ihrer bisherigen Transitarbeitskräfte mit Trainingsplätzen ersetzen sollen, ist bedeutet 2019 eine erhebliche Änderung ihres Gesamtkonzepts.
Göschl: Das hat Vor-und Nachteile: Der Vorteil ist, dass Trainingsplätze nicht mehr wirklich erfolgsrelevant sind und sie nicht dauernd Leute „mitschleppen“, die de facto sehr geringe Chancen haben und damit ihren gesamten Integrationserfolg gefährden, zumindest in der Wahrnehmung der DWH-Statistik. Zukünftig sind die Leute zur Stabilisierung dort, und der Vermittlungserfolg steht nicht im Vordergrund. Wir werden 2019 entsprechend getrennt auswerten. Und langfristig sollten wir auf Transitarbeitsplätze Leute nehmen, von denen man eine halbwegs realistische Annahme hat, sie in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu können. Dauersubventionierte Arbeitsplätze sind für das AMS kein Thema. 

AKTIV: Zum Thema BBE-N, die in den Bundesländern in den letzten Jahren etabliert wurden: In Wien gibt’s bisher neun step2job-BBE, die eine ähnliche Aufgabenstellung haben. Wird es nächstes Jahr eine Ausweitung in der Aufgabenstellung der step2jobs geben oder wird es zusätzliche BBE geben?
Göschl: Wir haben das noch nicht ausdiskutiert. Eine eigene BBE für Frauen gibt es in der Form noch nicht. Zwei step2job-BBE mit offenem Raum wurden schon evaluiert, bei den anderen werden wir das auch machen. Wir müssen uns das rasch überlegen. Von den geringen Reserven, die wir budgetär haben, wird einiges dorthin fließen müssen.

AKTIV: Sie haben die Evaluierung der offenen Räume der beiden step2job-BBE in Wien angesprochen – wie sind die Ergebnisse?
Göschl: Die waren in der Wahrnehmung der TeilnehmerInnen positiv. Die Freiwilligkeit ist als ganz wichtig betont worden. Ich weiß nicht, wie vielen TeilnehmerInnen intensiv nahegelegt wurde, da hinzugehen. Wir haben noch keine extra Auswertung. Rund die Hälfte der Personen hat das Angebot wenigstens einmal genutzt, ein Viertel regelmäßig. Ob man in diesen offenen Räumen auf einen höheren Anteil kommen kann, weiß ich nicht. Wir müssen jetzt schauen, wie wir diese zwei Maßnahmenstränge voneinander abgrenzen und wie wir die Durchlässigkeit gestalten. Das wird die Aufgabe der nächsten Monate sein, bevor wir neue Verträge machen.

AKTIV: Also Durchlässigkeit zwischen Stabilisierungsangeboten und Vermittlungsaktivitäten?
Göschl: Zwischen Stabilisierungs- und Vermittlungsschiene, aber auch hin zu anderen Angeboten. Vorgesehen wäre ja auch, dass Trainingsplätze eventuell über die BBE-N besetzt werden. Wir wollen keine exklusive Schiene haben. Ich denke, es ist egal, ob jemand aus einer SÖBÜ-BBE kommt oder aus einer step2job-BBE. Das macht für mich keinen großen Unterschied. Aber wir sind AMS-intern noch nicht ganz einig, wie das laufen soll. Und vielleicht braucht’s mittelfristig auch neue Förderinstrumente, so wie Trainingsprojekte möglicherweise. Es ist bei den Trainingsplätzen immer noch das Thema: Wie grenzt man sie von den Transitarbeitsplätzen ab? Zu Beginn machen wir das so, dass wir möglichst ganze Bereiche haben, die dann Trainingsplätze sind – bei den großen SÖB hat sich das natürlich angeboten. Eher nicht im Kundenkontakt und nicht in Bereichen, wo der Nachbar das gleiche macht - und der eine hat ein Dienstverhältnis und der andere nicht. Das ist wahrscheinlich nicht gut. Und wie’s weitergeht mit Trainingsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf das bin ich sehr neugierig. 

AKTIV: Warum soll eine Firma, die im Wettbewerb steht, einer Trainingskraft eine Chance geben? Was hat die Firma davon?
Göschl: Das Arbeitstraining hat den Vorteil einer Arbeitserprobung. Ich kann mir die Leute anschauen. Zweitens, ich kann ihnen auch etwas beibringen. Und wenn das passt, ist es wie ein Schuhlöffel. Dass Firmen jemand einstellen und Eingliederungsbeihilfe nehmen, da ist die Hemmschwelle schon eine größere als bei Trainingskräften, die sie jederzeit von heute auf morgen wieder heimschicken können. Außerdem wissen Firmen nicht, was die Leute können. Wenn sie keine ausreichende Produktivität zusammenbringen, nehmen sie‘s nicht, auch nicht mit 100% Förderung. 

AKTIV: Sind das dieselben Trainingsplätze, die auch in den SÖB vorgesehen sind?
Göschl: Potenziell könnte Trainingsplätze jeder anbieten, nicht nur die SÖB, sondern es gibt ja Vereine, gemeinnützige Organisationen etc. Potenziell ist es denkbar, auch am ersten Arbeitsmarkt, da wäre auch nichts dagegen einzuwenden. Wenn die Firma sagt, ich nehme eine bestimmte Person in ein Arbeitstraining oder auf einen Trainingsplatz, warum nicht?

AKTIV: Gut, dafür gibt’s den Rahmen der BEMO-Richtlinie und nicht die SÖB-Richtlinie.
Göschl: Genau. Und insofern ist das sicher eine Form, die man ausweiten wird müssen – 500 Trainingsplätze sind relativ zum Kundenpotenzial im AMS Wien eine Handvoll. Wir haben ungefähr 250 Transitarbeitsplätze auf doppelt so viele Trainingsplätze umgewandelt im klassischen SÖB-Bereich. Auch wenn man jetzt Trainingsprojekte schafft, werden die Ausweitungsmöglichkeiten überschaubar sein. Und jetzt gibt’s natürlich Begehrlichkeiten, Trainingsplätze einzurichten. Bei den SÖBÜ wollten wir die Vermischung nicht, weil dort die Personen überlassen werden sollen.
 

AKTIV: Wenn man es als Stufenmodell sieht, könnten SÖBÜ ein richtiger Schritt sein – als Trainingskraft im internen SÖB des SÖBÜ. Und wenn jemand jobready ist, könnte er oder sie in Überlassung gehen.
Göschl: Man hat aber dort auch eine massive Vermischung, und das wollten wir uns bei den SÖBÜ ersparen, zumindest im ersten Schritt. Das heißt nicht, dass wir es nicht später einmal machen. Primär gibt‘s die BBE und eigentlich sollten sie die Leute auf einen Transitarbeitsplatz übernehmen und überlassen. Wir hätten gerne eine strikte Trennung der Bereiche. Bei Caritas und Volkshilfe haben wir Bereiche genommen, wo der Leistungsdruck überschaubar ist. So eine Stabilisierung ist gut. Insofern finde ich es nicht schlecht, wenn man sagt, ja, das ist halt dann tatsächlich für Trainees und zur Stabilisierung und zur Wiedereingewöhnung ans „Gerät“ und an die Arbeit und ans Aufstehen. Und wenn sie sich gut entwickeln, ist nachher nichts einzuwenden, dass man sie dann entweder auf einen normalen Transitarbeitsplatz nimmt oder woanders hin vermittelt. 

AKTIV: Zum Abschluss: Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen – wie wird der Wiener Arbeitsmarkt in fünf Jahren aussehen und wie sehen Sie die Änderungen bei den arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen in dieser Stadt?
Göschl: Die Herausforderungen werden mit Zeitverzögerung so sein wie in allen westlichen Industrieländern. In Deutschland kann man sich das schon anschauen. Wir haben eine Geburtenrate von 1,4 pro Frau. Wenn die Babyboomer in Pension gehen, dann kommen viel geburtenschwächere Jahrgänge nach. Das heißt, es wird gleichzeitig einen ordentlichen Arbeitskräftemangel geben in bestimmten Bereichen, und wir werden aber trotzdem einen Teil unserer Personen mit niedrigen Integrationschancen nicht unterbringen können. Zumindest nicht am ersten Arbeitsmarkt. Da sind die Anforderungen mittlerweile zu hoch. Wir werden also Mangel und Arbeitslose gleichzeitig haben. Der Mangel wird ein Problem sein. Es ist jetzt schon so, dass die zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten zu zwei Drittel durch neu zuziehende AusländerInnen besetzt werden. Die werden aber auch ausbleiben, insofern wird der Druck noch größer werden. Die Unternehmen haben das aber noch nicht realisiert, dass sie sich gut überlegen müssen, wie sie Leute ansprechen und dass sie vermehrt in Ausbildung investieren müssen. Bisher haben sie leicht Personal bekommen, vor allem im Wiener Raum, und wenn es aus dem benachbarten Ausland war. Aber die werden ausbleiben, unsere Nachbarn haben dieselben demographischen Probleme wie wir. Die Löhne ziehen in Ungarn und der Slowakei jetzt schon deutlich an, vor allem in der Industrie. Irgendwann wird’s uninteressant, nach Österreich zu pendeln, wenn der Gehaltsunterschied zu klein wird.

AKTIV: In Wien geht es doch weniger um die Industrie ...
Göschl: Auch im Dienstleistungsbereich werden wir ein Problem bekommen. Wo arbeiten die Leute? Ganz viel in der Pflege, 24-Stunden-Pflege vor allem, da könnten wir ein ordentliches Problem kriegen. Und das Problem wird sich teilweise von der Arbeitslosenversicherung und vom AMS hin zur Pension verlagern. Wenn die BeitragszahlerInnen tendenziell nicht in dem Ausmaß steigen wie die PensionistInnen, wird’s beim Umlageverfahren eng. Insofern, meine ich, ist es unbedingt notwendig, dass wir alle länger arbeiten. 

AKTIV: Ihrer Meinung nach wird schon in fünf Jahren das Arbeitskräfteangebot geringer als die Arbeitskräftenachfrage sein?
Göschl: Für Wien ist das irrsinnig schwer zu prognostizieren, weil wir in Wien in den vergangenen Jahren rund 30.000 Personen Zuwanderung pro Jahr hatten. Vor allem im heurigen Jahr ist die Zuwanderung deutlich zurückgegangen. Jetzt ist die Frage, ob der Trend anhält, dann geht’s schneller. Aber irgendwann kommt’s. Wenn die Zuwanderung wirklich abnimmt, dann kann es in fünf Jahren schon sein, sonst auf jeden Fall in zehn Jahren. Jetzt müsste man sich darauf vorbereiten, durch vermehrte Investitionen in Ausbildung. Das Problem mit der Altersarbeitslosigkeit wird sich entschärfen, das glaub ich auch. Es wird wahrscheinlich auch selbstverständlich werden, über 65 hinaus zu arbeiten, wie’s in Skandinavien jetzt schon ist.

AKTIV: Danke für das Gespräch.

Mag. Winfried Göschl, geboren 1962 in Wien. Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien. Seit 1988 tätig in der Arbeitsmarktverwaltung als Berater in der Akademikervermittlung. 1990 bis 1994 Bundesministerium für Arbeit und Soziales. 1995 bis 2000 in der Bundesgeschäftsstelle des AMS Österreich. Ab 2000 in der Landesgeschäftsstelle des AMS Wien, Leiter der Abteilung „Büro der Geschäftsführung und Systemmanagement“, seit 2012 stellvertretender Landesgeschäftsführer.

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