Jobmesse-Mediengespräch: Chancen geben und Potenziale nützen - arbeitslose Personen mit aktiver Unterstützung zurück im Job
26.09.2024, Der Arbeitsmarkt braucht die Expertise der Sozialen Unternehmen!
AKTIV: Herr Buchinger, Sie sind allen Akteur*innen aus dem Bereich Arbeitsmarktpolitik seit vielen Jahren als DER Experte für Arbeitsmarktpolitik in Österreich bekannt. Auf welche Highlights blicken Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender des AMS gerne zurück?
Herbert Buchinger: Das größte Highlight war natürlich die Ausgliederung des AMS aus der unmittelbaren Bundesverwaltung und die Umwandlung in ein Dienstleistungsunternehmen. Das war noch in meiner Funktion als arbeitsmarktpolitischer Berater des damaligen Arbeits- und Sozialministers Josef Hesoun. Als AMS-Vorstand war für mich die innere Organisationsreform der Geschäftsstellen des AMS das nächste Highlight. Wir haben das sogenannte Drei-Zonen-Modell entwickelt, mit externen Berater*innen und unter Beteiligung der Geschäftsstellen, und haben es dann in allen 101 Geschäftsstellen, die wir damals hatten, umgesetzt. Und das mit hoher Akzeptanz! Von dieser Organisationsreform haben wir bis ins Coronajahr gezehrt... Jetzt hat sich das ein bisschen abgenutzt, also sind wir gerade dabei, die Geschäftsstellen neuerlich organisatorisch umzustellen.
AKTIV: Gab es in dieser Zeit auch Dinge, die nicht so funktioniert haben, die mehr Lernprozess als Erfolgsgeschichte waren?
Herbert Buchinger: Der größte Flop, den wir in meiner Vorstandstätigkeit produziert haben, war die sogenannte Übersiedlungsbeihilfe. Wir haben zweimal versucht, sie einzuführen, und das wurde zweimal nicht vom Markt angenommen. Jetzt ist
das Thema ja wieder in Diskussion, und alle, die sich mit regionaler Mobilität beschäftigen, kommen zum Schluss, dass das Vermittlungspotential von Wien, von Ostösterreich nach Westösterreich auf diese Weise beschränkt ist. Wenn der Arbeitgeber, die Arbeitgeberin kein Quartier stellt, wäre es doch gut, wenn man die Leute direkt beim Übersiedeln unterstützen kann. Aber es hat nie funktioniert. Wenn keine kurzfristige Wohnung bereitsteht, kannst du die Leute praktisch nicht vermitteln. Niemand ist offenbar bereit, einen Wohnsitz in Wien, in Ostösterreich aufzugeben, um mit Sack und Pack nach Salzburg, nach Tirol zu übersiedeln, nur wegen der Aussicht auf einen Job in einem bestimmten Beschäftigungsfeld. Das findet in der Praxis anders statt. Die Leute gehen zunächst alleine, nehmen sich ein Behelfsquartier, fangen im neuen Job an, und erst, wenn sie sich etabliert haben, suchen sie sich eine passende Wohnung und holen die Familie nach. Dass jemand alles riskiert, neuer Job, neue Wohnung, alles auf einmal, und für die Familie auch neue Sozialbeziehungen, neue Schulen für die Kinder… Da ist eine Jobaufnahme einfach in den Augen der meisten zu riskant. Was ist, wenn’s nicht glatt geht, wenn das Arbeitsverhältnis im Probemonat wieder gelöst wird?
AKTIV: Gibt es in diese Richtung jetzt andere Überlegungen, wie man beispielsweise das Risiko minimieren kann, oder wird das Konzept eher ad acta gelegt?
Herbert Buchinger: Wir als Arbeitsmarktservice haben daraus geschlossen, wir alleine können das Problem nicht lösen. Wir versuchen, in den Regionen Initiativen zu starten, um die dortigen Betriebe, die Gemeinden, das Land dafür zu interessieren. Es muss ihnen klar sein, dass sie auch etwas dafür tun müssen, wenn sie den Fachkräftemangel in ihrer Region bekämpfen wollen. Das kann nur gelingen, wenn sich vor Ort lokale Honoratioren des Themas annehmen und alle etwas beitragen. Das kann das Arbeitsmarktservice alleine nicht, hier braucht es Zusammenarbeit. Da gibt es jetzt ein paar Projekte im Anfangsstadium, in Bischofshofen zum Beispiel. Da haben ein
paar rührige Unternehmer*innen aus der Tourismusbranche angefangen, gemeinsam etwas zu organisieren. Die haben sich mit den Gemeinden zusammengeschlossen, und versuchen jetzt, eine lokale Willkommenskultur ufzubauen. Dazu gehört auch, dass man sich darum kümmert, wo denn die Leute wohnen können. Und es braucht Möglichkeiten für die Familie, wenn sie nachkommt: Kinderbetreuungsplätze, Schulplätze bis vielleicht zu einem Arbeitsplatz für den Partner/die Partnerin.
AKTIV: Gerade in der Tourismusbranche ist es ja momentan besonders wichtig, den Arbeitnehmer*innen auch entgegenzukommen. Aber nicht nur dort: In den letzten Monaten haben sich die Kräfteverhältnisse am Arbeitsmarkt
komplett verändert. Jetzt sind es die Arbeitgeber*innen, die den Arbeitnehmer*innen „nachlaufen“ müssen. Beinahe alle Branchen klagen über Fachkräftemangel. Ist das eine dauerhafte Entwicklung, und wenn ja, welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für das Arbeitsmarktservice?
Herbert Buchinger: Diese Entwicklung wird für bestimmte Fachkräfte und Qualifikationen von Dauer sein. Da wird es so sein, dass es ein Arbeitnehmer*innenmarkt bleibt, wo die Arbeitnehmer*innen sich aussuchen können, für welche*n Arbeitgeber*in sie arbeiten wollen. Aber der generelle Arbeitskräftemangel, der meiner Wahrnehmung nach hauptsächlich regional war, der wird sich wieder legen. Das war nur in Zeiten eines außerordentlich hohen Wirtschaftswachstums, wir hatten ja einigen Nachholbedarf aus der Coronaphase. Corona ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber die Wirtschaft tut schon so, als ob. Wir haben in den letzten Monaten Wirtschafts-Wachstumsraten erlebt, die man bisher nur aus den 70er-Jahren kannte. Das hat sektoral und auch regional einen allgemeinen Arbeitskräftemangel ausgelöst. Der wird verschwinden – auch die demografische Entwicklung wird in den nächsten
Jahren bis 2035, 2040 nicht zu einem Arbeitskräftemangel führen. Das Arbeitskräftepotential wird in Österreich weiterhin wachsen, wenn auch nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren – aus zwei Gründen: Einerseits wird es weiterhin Zuzug aus dem Ausland geben, vielleicht nicht mehr so stark wie früher. Aber die Lohndifferenzen sind noch immer groß genug, vor allem aus dem EU-Ausland. Andererseits wird die Erwerbstätigkeit der Frauen ab 2024 durch die schrittweise Anhebung des Frauen-Regelpensionsalters spürbar steigen. Das fängt 2024 an, und geht relativ scharf jedes Jahr ein halbes Jahr hinauf. Dadurch werden zusätzlich Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt gehalten. Und damit kann man davon ausgehen, dass es zu keiner zusätzlichen Verknappung kommen wird.
AKTIV: Wir leben in unsicheren Zeiten. Die aktuell gute Arbeitsmarktlage kann sich auch wieder ändern. Aktuell wird eine Stagflation für das kommende Jahr prognostiziert. Welche Auswirkungen auf die Beschäftigungslage erwartet das Arbeitsmarktservice?
Herbert Buchinger: Die Lage ist so volatil wie eigentlich nie seit ich im AMS-Vorstand bin – es ist schwer einschätzbar, was wirklich passieren wird… Folgt man den Prognosen, die aber auch so unsicher sind wie noch nie, dann werden wir keine echte Rezession erleben, sondern im Jahresdurchschnitt noch ein leichtes Wirtschaftswachstum haben. Aber im Bereich von 0,3 bis 0,5… im Wesentlichen eine wirtschaftliche Stagnation bei leicht steigender Beschäftigung. Was auch heißen wird, dass die pro-Kopf-Produktivität wieder leicht rückläufig sein wird, weil das durchschnittlich geleistete Arbeitszeit-Volumen wieder sinken wird. Und für den Arbeitsmarkt würde das heißen, bei leicht steigender Erhöhung des Arbeitskräfteangebots eine moderate Steigerung der Arbeitslosigkeit. Die Prognosen sprechen von rund 15.000 Arbeitslosen im Jahr 2023 im Jahresdurchschnitt mehr als 2022. Das wäre nicht dramatisch, aber es kann jederzeit dramatisch werden, wenn die Ereignisse rund um die Pandemie, die Ereignisse im Krieg Russland gegen die Ukraine und die Gegenreaktionen der westlichen Staaten eskalieren und tatsächlich eine Rezession auslösen, dann wird’s schlimmer. Dann haben wir stark steigende Arbeitslosigkeit.
AKTIV: Das heißt, auch die Anbieter*innen der arbeitsmarktpolitischen Projekte und Maßnahmen müssen auf alles vorbereitet sein?
Herbert Buchinger: Leider ja, noch dazu können sie sich nicht ordentlich vorbereiten: Das Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik 2023 steht im Zeichen der aktuellen Stabilisierung: Man geht also davon aus, dass es deutlich besser wird als noch vor zwei Jahren, und auch noch deutlich besser als 2021, selbst als 2019. Im Hinblick darauf ist jetzt ein Arbeitsmarktförderungsbudget gemacht worden, das, auch weil Sonderprogramme auslaufen, eben 300 Millionen unter dem heurigen Wert liegt. Das Grundbudget ist sogar leicht gestiegen, aber die Sonderbudgets sind eingeschränkt. Und damit gehen weniger Aufträge an die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmenträger*innen, das aber bei relativ scharf steigenden Kosten! Die hohe Inflation wird sich auch in den Lohnabschlüssen von BABE und SWÖ niederschlagen. Da wird man nicht ohne spürbare Lohnerhöhungen auskommen. Und das bei stagnierenden bis schrumpfenden Budgets – das wird heißen, dass das Auftragsvolumen, umgerechnet in Beschäftigung oder in Leistungen, zurückgehen wird. Gleichzeitig signalisiert aber die Bundesregierung: Falls es schlimmer kommt, wird es wieder Extrabudgets geben, dann wird es wieder relativ rasch Sonderprogramme geben und damit auch wieder zusätzliche Beauftragungen. Also: es ist für uns und für die Maßnahmenträger*innen derzeit schwer einzuschätzen. Da kann man nichts anderes machen, als jetzt einmal von den derzeitigen Prognosen auszugehen und danach die Pla-nung zu machen. Natürlich immer im Bewusstsein, dass man die Planung dann Anfang nächsten Jahres vielleicht gleich wieder wegschmeißen kann und alles neu machen muss.
AKTIV: Manche Dinge ändern sich nicht so schnell: Die Mitgliedsbetriebe von arbeit plus Wien arbeiten aktuell bereits mit schwerer vermittelbaren Personen als noch vor einigen Jahren. Neben unterschiedlichen Vermittlungshemmnissen ist Bildung natürlich ein Dauerthema. Wird das AMS künftig mehr in (Aus)Bildung, Schulung und angewandte Praxis investieren müssen?
Herbert Buchinger: Fachqualifikation wird sicher ein relativ stärkeres Gewicht in der Arbeitsmarktpolitik bekommen. Egal, auf welchem Niveau sie stattfindet. Wir haben ein paar Projekte aufgesetzt, die darauf abzielen, die fachbildenden Anteile in der Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen. Damit sollen ungelernte Arbeitskräfte und angelernte Arbeitskräfte zu anerkannten Abschlüssen, zu einer beruflichen Qualifikation geführt werden. Ein Problem dabei haben wir noch nicht überall gelöst, das funktioniert aktuell nur für einzelne Bereiche: das Fachkräftestipendium und vor allem das Pflegestipendium. Wie sichert man die Existenz von Menschen, die eine längerfristige Ausbildung machen? Gleichzeitig glauben wir, dass man, um in größerem Ausmaß bei den Ungelernten zu reüssieren, gar nicht auf lange Ausbildungen setzen darf. Das Zauberwort ist Modularisierung und fragmentiertes Lernen. Man muss die ganzen Berufsbilder, die letztendlich das Ziel sind, in kleine Portionen unterteilen, zwischendurch gibt es vielleicht wieder Arbeitsepisoden… Die notwendigen Kompetenzen mit System in kleinen Einheiten modular vermitteln und erlernen. Das wird die Strategie sein, und in der Richtung versuchen wir die Schulungseinrichtungen zu motivieren, dass sich auch die Pädagogik und Didaktik in diese Richtung entwickeln. Konzepte gibt’s schon.
AKTIV: Ist das auch etwas, wo auch die SÖBs, die Sozialen Unternehmen eine Rolle spielen können?
Herbert Buchinger: Ja, klar, für Praxisphasen zum Beispiel.
AKTIV: Die Anbieter*innen von arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen bemühen sich seit Jahrzenten darum, dass Aufträge über den Planungshorizont von einem Jahr vergeben werden. Mittlerweile zieht die jährlich wiederkehrende Unsicherheit auch gut qualifizierte Schlüsselkräfte von diesem Beschäftigungsfeld ab. Können unsere Mitgliedsbetriebe in Zukunft mit längerfristigen Vertragsvergaben rechnen oder scheitert es an der auch nur jährlichen Finanzierung des AMS?
Herbert Buchinger: Das ist das große Hemmnis – nicht nur die Einjährigkeit der Budgets beim Bund, an die wir gebunden sind, sondern auch das Vorbelastungsregime: Wir dürfen nur einen bestimmten Prozentsatz des heurigen Budgets für künftige Budgets vorbelasten. Da gibt es genaue Grenzen, die liegen im Wesentlichen bei 60%. Wenn es darüber hinaus geht, müssen wir im Einzelfall die Zustimmung vom Ministerium und vom Finanzminister ein holen. Das klingt jetzt relativ viel, gerade am Anfang des Jahres, aber wenn es gegen Ende des Jahres geht, bleibt nicht mehr so viel und oft haben wir es im Dezember überschritten, trotz kurzfristiger Beauftragungen im Dezember.
Das schicken wir dann ins Finanzministerium zur Information, sagen aber dazu, offizielle Genehmigung brauchen wir keine mehr, weil bis wir die haben, ist eh das neue Budget schon da. Sie lösen das eh pragmatisch, aber trotzdem… Es geht nicht ohne Finanzministerium, und das Vorbelastungsregime bindet uns da sehr stark. Und je längerfristiger ich jetzt den Vertrag mache, desto schneller bin ich bei dieser Grenze, weil in der Vorbelastung alle Budgets für zukünftige Jahre zusammengerechnet werden. Deshalb ist der Spielraum für längerfristige Verträge relativ gering.
AKTIV: Zum Abschluss – welchen Ratschlag von Ihnen dürfen wir den Akteur*innen der Aktiven Arbeitsmarktpolitik weitergeben?
Herbert Buchinger: Mein größter Tipp an die Maßnahmenträger*innen ist: Tretet den Landesorganisationen und den AMS-Stellen auf Augenhöhe entgegen! Ich weiß, das ist dort und da schwer und noch nicht der Fall, und wir versuchen, unsere Landesorganisationen dahin zu bringen, aber solange die Maßnahmenträger*innen das selber nicht tun und auch einfordern, setzt sich halt dort und da doch wieder die Sehnsucht durch, einfach einseitig anordnen zu können. Manchmal ist es ja bequemer… Aber nachhaltig ist es nicht! Nachhaltig sind Partnerschaften, auf Augenhöhe getroffene Vereinbarungen. Damit kann man viele Probleme lösen, produktiv gemeinsam lösen,
die sonst in der Beziehung auftreten und sich dann in irgendwelchen Interventionen äußern, die auch nicht erfolgsversprechend sind.
AKTIV: Vielen Dank für das Gespräch!
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