arbeitplus wien
arbeitplus wien

Lästig sein, mutig sein, hartnäckig bleiben!

Aktiv: Welche Anliegen sind euch zu Zeiten eurer Gründung ganz besonders wichtig gewesen? Was war ausschlaggebend, diesen Weg einzuschlagen?
Manuela Vollmann: Bei der Gründung haben wir uns Ausbildungs- und Beschäftigungs-Zentrum genannt. A-B-Z. Für Wiedereinsteigerinnen waren wir Arbeits- und Lernplatz: Workplace Learning. Nach einer starken Unternehmensexpansion sind dann die Bereiche Beratung und Berufsorientierung dazu gekommen, wir haben uns verstärkt dem Lobbying und der Netzwerkarbeit für die Gleichstellung von Frauen und
Männern am Arbeitsmarkt gewidmet und wurden zu ABZ*AUSTRIA – Arbeit, Bildung, Zukunft für Frauen. „Zukunft“ stand und steht für mich für die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, in der Bildung und in der Wirtschaft. Beide Visionen haben uns von Anfang an geleitet. Das bildet sich auch im Namen ab.
Gabriele Gottwald-Nathaniel: Meine Anliegen waren zielgruppengesteuert: In Wien wurde im Rahmen von Equal 1 die Entwicklungspartnerschaft „drug addicts@work“ gegründet, weil Suchtkranke, die  längerfristig in stationärer Therapie und Behandlung waren, bis heute aus bestimmten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Sozialökonomische Betriebe rausfallen bzw. wir wollten etwas Neues machen, das das kreative Potential unserer Zielgruppe zeigt. Ich habe immer sehr viel mit Handwerk zu tun gehabt, mit Reparieren und Erhalten stattWegschmeißen. Ein Beitrag über upcycling in Brasiliens Favelas, ein Besuch auf der Ars Electronica, der Kontakt mit der Wiener Wochenklausur haben mich und eine Kollegin auf die Idee gebracht: Wir machen Upcycling-Design. Das, was das AMS heute Kompetenzcheck nennt, haben wir damals bereits ähnlich entwickelt, indem wir Lehrinhalte pro Lehrberuf – die bei gabarage vertreten sind – in einem 5-Stufen-Personalentwicklungskonzept abgebildet haben. Wir haben bewusst die Ressourcen und nicht nur die Defizite erhoben. Heute selbstverständlich, damals nicht. Das Anton Proksch Institut hat dann Jahre später eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit zur Bedeutung von Arbeit und Beschäftigung für Suchtkranke gemacht und es ist durchaus berechtigt zu sagen: Nichts ist so wirksam wie sinnvolle Arbeit und Beschäftigung. Dieses Wissen um die Zielgruppe und ihre Bedarfslagen, das war eine hohe intrinsische Motivation.

Faru mit Brille und blonden, schulterlangen Haaren
Manuela Vollmann, Gründerin und Co-Geschäftsführerin des ABZ*AUSTRIA
Frau mit langen rötlich blonden Haaren
Gabriele Gottwald-Nathaniel, Gründerin udn Vorsitzende von gabarage - upcycling design

Aktiv: Wenn ihr zurückschaut auf diese Jahrzehnte, was waren die wichtigsten Errungenschaften?
MV: Erstens: Wir sind stetig gewachsen, von anfangs fünf auf 200 Mitarbeiter*innen und haben unsere Organisation dementsprechend ständig weiterentwickelt. Aktuell arbeiten wir daran, all unser Tun und vor allem die Funktionen an den „vier Rs“ zu orientieren: Responsibility, Role, Report, Results. Zweitens: Die EU-Initiative Equal. Für ABZ*AUSTRIA waren diese Möglichkeiten der Kooperationen, der Entwicklung und Innovationen ein Wendepunkt. Wir waren an 14 Entwicklungspartnerschaften beteiligt. Wir haben den Begriff Karenzmanagement als Managementthema geprägt – Vereinbarkeit ist kein Frauenthema! Die
Roadmap*Neues Arbeiten, unser webbasiertes Tool zum Auszeiten- und Karenzmanagement, verkaufen wir bis heute an Unternehmen und Institutionen. Ganz aktuell gibt es in der Roadmap*Neues Arbeiten das Thema Corona und Homeoffice. Gesamtgesellschaftlich hat ABZ*AUSTRIA, aber auch die gesamte Branche in den letzten Jahrzehnten Unglaubliches geleistet: im Führen von Organisationen, in der Entwicklung von Projekten, in der Arbeit mit Zielgruppen und der Kooperation mit Unternehmen.
GGN: Ein wesentlicher Meilenstein war sicher, nach drei Jahren, als Equal 1 aus war, zu erreichen, dass es gabarage weiter gibt. Einige Jahre später führte die Umstellung des AMS-Wien auf  Eingliederungsbeihilfe über Umwege dazu, dass ich einen gemeinnützigen Verein gegründet und im Jänner 2012 mit 40 Mitarbeiter*innen neu gestartet habe. Ich sehe, dass gabarage heute mehr denn je in  unsere Zeit passt. Ökologisch-soziale Nachhaltigkeit ist unsere DNA, das machen wir seit 20 Jahren. Corona hat massive Erlöseinbrüche und den Verein doch in eine sehr schwierige Situation gebracht. Darum der nächste Innovationsschub – eine GmbH, aktuell zu 100% im Eigentum des Vereins, wird aktuell „Investor*innenready“ gemacht. Den sozialen und ökologischen Impact – den wir unbestritten haben – zu verstärken, das ist unser Ziel! Am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen dauerhaft zu beschäftigen, das machen wir dort bereits jetzt!
Aktiv: Ihr seid beide in der Öffentlichkeit, in der Szene bekannt. Welchen Stellenwert hat für euch Lobbying, nach außen gehen: Pflicht oder Kür?
MV: Die Pflicht sind die Projekte mit den Unternehmen und die Arbeit mit den Zielgruppen, Wiedereinsteigerinnen, Alleinerzieherinnen, Frauen mit Migrationshintergrund und zuletzt auch verstärkt mit Männern u.a. Die selbständige Existenzsicherung von Frauen und deren Kindern ist für uns sehr wichtig. Das andere, die Kür, sind Lobbying, Networking und Kampagnen. Wir haben von Anfang an Kampagnen gemacht, die erste war eine arbeitsmarktpolitische Ausstellung: Wiedereinstieg – Barrieren und Hürden. Für den „Kompetenzcheck berufliche Integration“ haben wir – das war schon etwas Besonderes – im Rahmen der Sustainable Development Goals gemeinsam mit BFI und AMS den „United Public Service Award 2019“ der Vereinten Nationen bekommen. Für mich ist arbeit plus auch die Kür: gemeinsam national, regional und europäisch gestalten – über das hinaus, was ein einzelnes Unternehmen kann.

GGN: : Lobbying ist für mich eine Verpflichtung, um Arbeitsplätze für Zielgruppen aufrecht zu erhalten, die sonst nicht so einfach eine Beschäftigung finden. Wie Suchtkranke gesehen werden, der Umgang,
die Stigmatisierung ... da hat sich aus meiner Sicht einiges verändert, aber immer noch zu wenig. Deswegen ist mir auch arbeit plus Wien total wichtig, damit diese Zielgruppe vertreten ist und gesehen wird. Für die gibt es uns ja. Und dass Kreislaufwirtschaft das Potential für unsere Zielgruppen ist, davon war ich immer schon überzeugt. Da braucht es nachhaltige Finanzierung, Geld für Ausbildungsprogramme und längerfristige Projekte! Dieses Ziel treibt mich voran.
MV: Dieses Thema wird uns in Zukunft stark beschäftigen, denn viele kleine und mittlere Unternehmen haben zwar Lehrplätze und Jobs, aber es fehlt ihnen die Erfahrung, mit Menschen zu arbeiten, die mehr Unterstützung aber auch andere Rahmenbedingungen brauchen oder auch wollen. Da kann und muss man neue Zusammenarbeitsformen entwickeln, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Als soziales Unternehmen muss man neue gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse auch umsetzen: Wir sind alle Wirtschaft!
GGN: Genau! Da kaufen Wirtschaftsbetriebe auch Kompetenzen bei uns zu! Firmen interessieren sich für unsere Lehrlinge, die sie sonst als problematisch ablehnen würden. Wir als gemeinnützige Sozialwirtschaft sind Wirtschaft!
Aktiv: Soziale Startups: Was würdet ihr jungen Leuten raten, die hier innovativ sein wollen?
MV: Man braucht einen Business Plan! Man muss ein klares Ziel haben, aber auch bedenken: wie lange schaue ich zu, ob das etwas wird? Und dann nicht enttäuscht sein, wenn‘s nicht gleich funktioniert. Es kann auch daneben gehen. Hartnäckig bleiben, dranbleiben, überlegen, wie es weiter gehen kann.
GGN: Lästig sein, mutig sein, unbequem sein, das gehört dazu. Immer wieder einen Realitätscheck machen. Sich auch selbst immer wieder die eigene Motivation vor Augen halten. Mentor*innen suchen: „Die/der kennt sich aus, die kann ich doch einmal fragen.“ Recherchieren, was es schon gibt, und Selbstbewusstsein zeigen!


Aktiv: Vielen Dank für dasGespräch!

Presse & News

Aktuelle Aussendungen

Alle anzeigen