apW: Wenn man sich eine zentrale Aufgabenstellung der aktiven Arbeitsmarktpolitik anschaut, nämlich die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, und dem die Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit in den letzten 20 Jahren gegenüberstellt, könnte man sagen, die Politik ist gescheitert. Denn so wie die Langzeitarbeitslosigkeit angestiegen ist, ist das keine Erfolgsgeschichte, oder?
R. Wagner: Vollkommenes Veto! Wir wissen nicht, was gewesen wäre, wenn wir die vielen Unterstützungsmaßnahmen nicht gesetzt hätten! Es gab nach der Finanzkrise mehr Langzeitarbeitslose als vorher, aber da hat ja die Finanz- und Wirtschaftspolitik einen höheren Impact als die Arbeitsmarktpolitik. Denn da ist ja noch die Stellenandrangs-Ziffer: vor der Krise hatten wir 1:8 oder 1:10. Also wenn zehn Leute um eine Stelle rittern, da darf ich keinem einzigen Arbeitslosen irgendwas unterstellen, weil das unfair ist. Die anderen neun können Olympiasieger*innen sein und kriegen den Job trotzdem nicht.
M. Vollmann: Aber man hätte gleich nach der Finanzkrise die Entscheidungen treffen können, wenn diese Wirtschaft Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit drängt, dann müssen wir gegensteuern mit einer bewussten und starken aktiven Arbeitsmarktpolitik.
T. Wehsely: Dafür bräuchte es aber Beschäftigungspolitik! Mit aktiver Arbeitsmarktpolitik kannst du ein bisschen den Arbeitsmarkt gestalten, aber wenn du Vollbeschäftigung willst und dafür keine Beschäftigungspolitik machst, kriegst du das auch nicht. Das kannst du nicht nur mit aktiver Arbeitsmarktpolitik stemmen.
A. Thienel: Der Arbeitsmarkt hat sich verändert: neue Anforderungen, Digitalisierung usw. und das Bildungssystem ist da nicht mitgekommen. Es braucht hier mehrere Ansätze: Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist letztlich das Pflaster auf der Wunde, aber wenn ich will, dass die Wunde gar nicht entsteht, muss das im Vorfeld über Bildungspolitik und Beschäftigungspolitik geschehen, da muss ich proaktiv sein. Da geht es auch um das Thema Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, was sehr stark über die Arbeit definiert ist. Es sind immer mehr Personen ausgegrenzt, wie schaffe ich diese Kurve? Da braucht’s entsprechende Angebote, die entwickelt werden müssen im Sinne von Beschäftigungsund Integrationspolitik.
apW: Zum Thema Frauen und Arbeitsmarkt: Wie sind die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu charakterisieren und zu bewerten?
M. Vollmann: Damals, als das ABZ*AUTRIA gestartet hat, haben wir versucht, Teilzeitstellen für Wiedereinsteiger*innen zu finden, damit Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung gut zu vereinbaren sind. Denn das Bewusstsein, dass Unternehmen Strukturen verändern müssen, damit Vereinbarkeit möglich ist, hat es so gut wie gar nicht gegeben. Mittlerweile klären wir Frauen darüber auf, dass Teilzeit auch eine Falle sein kann, in die sie oft geraten und die langfristig Altersarmut bedeuten kann. Es geht nur gemeinsam – wenn beide Partner sich die Kinderbetreuung teilen, wenn beide gleichermaßen reduzieren, wenn für die Vorgesetzten bei einem Mann um die 30 genauso wahrscheinlich ist, dass er in Karenz geht und danach Teilzeit arbeitet, wenn er Vater wird. Erst dann kann man von Gleichstellung am Arbeitsmarkt sprechen, dann macht es keinen Unterschied mehr, ob man einen Mann oder eine Frau einstellt, dann schließt sich der Gender Gap.
arbeit plus Wien: Vier zentrale Zielgruppen sind Dauerbrenner der aktiven Arbeitsmarktpolitik: Jugendliche und Ältere, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Menschen ohne Ausbildung. Wo hat sich die Angebotslandschaft für diese Gruppen in den letzten 20 Jahren am stärksten verändert?
T. Wehsely: Mein Thema ist natürlich die Jugend. Und ich finde schon, dass man da viel weitergebracht hat. Meine Erfahrung als Jugendarbeiterin und dann in unterschiedlichen Positionen bei Trägern ist, das hat vor Minister Rudi Hundstorfer nie jemand ernst genommen. Für mich war der Rudi für die Jugendlichen das, was für die ganze Arbeitsmarktpolitik der Dallinger war.
M. Vollmann: Es hat zu lange geheißen, finde ich, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich eh gering ist. Die offiziellen Zahlen haben dies ja auch bestätigt, dennoch war und ist klar: Gerade jungen Frauen wird es nicht leicht gemacht am Arbeitsmarkt. Sie werden häufig in stereotype Lehrberufe gedrängt, obwohl es Zukunftsberufe, wohl auch in der Pflege, aber auch im Umwelt- und Energiebereich gibt.
A. Thienel: Was Menschen mit Migrationshintergrund betrifft – da wurde auch reagiert auf Flüchtlingsbewegungen und die notwendige Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Da sind die BBE derzeit ein Stückchen experimentelle Arbeitsmarktpolitik, da wird viel ausprobiert: „Schauen wir uns das einmal ein Jahr an, bringt uns ein Konzept und dann schauen wir, ob sich das bewährt.“ Da tut sich schon was. Aber auch da haben eben wieder nur die großen Organisationen die Möglichkeit dazu. Da gibt es mittlerweile Projekte, wir haben zum Beispiel eines für türkischstämmige Frauen, die holen die Frauen dort ab, wo sie sind, und können auf spezifische Probleme besser eingehen. Also das hat schon auch Vorteile, dass die Angebote heute differenzierter sind.
apW: Wenden wir uns dem Jetzt und der Zukunft zu: Was sind aus heutiger Sicht die zentralen Herausforderungen am Arbeitsmarkt: jetzt und in zehn Jahren?
T. Wehsely: Ein zentrales Thema, über das wir auch schon oft geredet haben, ist Beschäftigungspolitik über Green Jobs und Kreislaufwirtschaft. Das ist ein großes, auf mindestens ein Jahrzehnt angelegtes nationales Anstrengungsprojekt. Das ist wie ein New Deal – der Green Deal! Und da ist es zu kurz gegriffen, einfach uns zu fragen „Ja, wo sind jetzt die Green Jobs? Was ist mit der Kreislaufwirtschaft? Was macht ihr jetzt in der Kreislaufwirtschaft?“
A. Thienel: Das ist wie bei der Energiewende – zum Umstieg gebe ich mir 20, 25, 30 Jahre, bis ich das schaffe. Wenn ich das Thema Beschäftigung, Zugang zu Arbeit für Alle ernst nehme, dass Beschäftigung ein wesentlicher Bestandteil gesellschaftlicher Integration ist, und was brauche ich dazu, dann kann ich nicht erwarten, dass das Problem von heute auf morgen gelöst wird, aber ich brauche ein umfassendes Bekenntnis dazu seitens der wesentlichen politischen Akteur*innen und Fördergeber*innen.
apW: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Fotos: arbeit plus Wien/Andy Urban