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Pilotprojekt "Schritt für Schritt": Da warten noch großartige Erfolgsgeschichten!

Seit 1.1.2023 läuft das neue Pilotprojekt „Schritt für Schritt“, in dem FAB, Volkshilfe und Caritas Wien gemeinsam Menschen, die seit mehr als fünf Jahren arbeitslos sind, einen Neustart ermöglichen. arbeit plus Wien hat für die Zeitschrift Arbeitsmarktpolitik AKTIV mit den drei Projektleiter*innen Nedima Delalic (Caritas), Lola Walthart (Volkshilfe) und Stefan Waltner (FAB) über den Start des richtungsweisenden Pilotprojekts gesprochen.

AKTIV: Stefan, Lola, Nedima, was ist aus eurer Sicht anders als in eurem herkömmlichen Betätigungsfeld?
Stefan Waltner: Der größte Unterschied ist, dass erstmals Scheitern erlaubt ist. Die Teilnehmenden können sich ausprobieren und alternative Wege versuchen. Das ist revolutionär, dass das auch von AMS-Seite so gewünscht ist. Auch der Betreuungsschlüssel macht einen großen Unterschied. Ein*e Berater*in ist für ca. 25-30 Personen verantwortlich und nicht für mehr. Das heißt, du hast eine ganz andere persönliche Ebene, die du aufbauen kannst. Dadurch ist es auch möglich, dass man zu Behördenterminen oder zum Vorstellungsgespräch begleitet. Oder sagt, jetzt fahren wir zur Volkshilfe/Caritas, und schauen uns gemeinsam dieses Trainingsangebot an. Und die Laufzeit: wenn man 36 Monate hat, kann man wirklich viel weiterbringen. Gerade bei gesundheitlichen Problemen kommt es oft vor, dass die Person auf Kur geht, eine Therapie oder Reha macht – das dauert. Auch bei Schulden: Da kann sein, dass das in dieser Zeit gemeinsam gelöst wird. In einer schnellen Vermittlungs-BBE, die ein halbes Jahr dauert, ist das nicht möglich. Neu ist auch die Zusammenarbeit mit Caritas und Volkshilfe – wo wir auch vor Ort beraten und in direktem Kontakt sind.

Lola Walthart: Wir als Volkshilfe stellen Trainingsplätze zur Verfügung, und die Leute werden weiterhin durch den FAB betreut Dadurch gibt es die Möglichkeit, sich langsam heranzutasten. Die Leute können unverbindlich mit ihren Berater*innen zu uns kommen. Wir erklären ihnen, welche Trainingsmöglichkeiten es bei uns gibt und dann wird – Schritt für Schritt – ein Trainingsstart vereinbart. In dem Bereich, der den Menschen halt am ehesten zusagt: in der Stadtpflege, Textilsortierung, unseren Second-Hand-Geschäften oder im Bereich Reinigung und Logistik.

Nedima Delalic: Wir bei der Caritas haben drei kreative Werkstätten für textiles oder technisches Arbeiten, Lebensmittelsortierung, Reinigung und Instandhaltung. Insgesamt können bei Caritas und Volkshilfe mehr als 20 Einsatzmöglichkeiten ausprobiert werden. Und es ist für jede körperliche Fitness was dabei. Wir haben uns im Vorfeld viel Zeit genommen, damit die Berater*innen vom FAB das auch so gut wie möglich an die Teilnehmer*innen vermitteln und einschätzen können, was für wen möglich ist. Darum sind die Berater*innen und die Fachanleiter*innen immer im Sinne der Klient*innen im direkten Austausch. Und wenn jemand unsicher ist, bieten wir die Möglichkeit zum Schnuppern. Das ist neu, das können wir in unserem normalen Trainee-Programm nicht anbieten. Da gibt’s nur den Infotag, und da sagt man dann eben ja oder nein.

Porträt von drei Frauen und einem Mann
v.l.: Die drei Projektleiter*innen von „Schritt für Schritt" Lola Walthart, Stefan Waltner und Nedima Delalic mit arbeit plus Wien-Geschäftsführerin Esther Rainer

AKTIV: Wie läuft das genau ab?

Stefan Waltner: Wir machen die Erstgespräche, fungieren als Drehscheibe und schauen, was braucht die Person. Das kann ein Training sein, das kann Case Management sein, weil manche Personen so viele Probleme haben, die man erst mal aus dem Weg räumen muss, bevor überhaupt ein Training gestartet werden kann. Es kann aber auch sein, dass man sich mit etwas Hilfe direkt am ersten Arbeitsmarkt bewirbt. Jeder Fall ist individuell. Jede Problemlage ist anders, und wir haben sehr viele Multiproblemlagen. Gesundheit, Schulden, Wohnung, Psyche … Da kommt viel zusammen. Wenn die Personen so stark belastet sind, und unter solchem Druck stehen, dass sie keine Ressourcen für ein Training haben, dann schauen wir, dass wir zuerst einmal etwas davon aus dem Weg räumen, aber es gibt genauso Fälle, wo wir sagen: „Machen Sie einmal ein Training, damit Sie ein bisserl rauskommen und unter Leuten sind.“ Das steigert den Selbstwert.

Junger Mann mit Brille spricht
Stefan Waltner

Wir bereiten die Teilnehmer*innen gut darauf vor: Wenn man vom AMS zugebucht wird, bekommt man eine Einladung, weiß nicht immer, worum es geht, will das vielleicht nicht wirklich machen oder kommt sich zwangsverpflichtet vor – da ist man mit einer ganz anderen Einstellung dort, als wenn man das vorher mit der/ dem Berater*in im Detail durchspricht, wie läuft das ab, wie sieht dort der Trainingsalltag aus, was kann ich damit machen? Oder man kann gemeinsam hinfahren und sich das Trainingsangebot anschauen. Und man darf auch nicht die Frage überschätzen, wie komm ich da öffentlich hin? Manche Teilnehmer*innen sind schon damit überfordert, selbst hinzufahren, und wenn man dann schon eine Stunde zu spät zum Infotag kommt, tja… So sagt der/die Berater*in: „Wir treffen uns bei der U-Bahnstation und gehen zu Fuß hin, oder wir treffen uns am Bahnhof Floridsdorf und fahren gemeinsam“ – das ist etwas ganz anderes.

Nedima Delalic: Wir sehen, dass die Menschen sehr gut vorbereitet zu uns kommen, dass sie sich von Anfang an sehr wohl fühlen, dass da auch eine Gemeinschaft zu spüren ist, und sie sich freuen, dass sie wieder eine neue Aufgabe haben, dass sie Ziele haben. Und da steigt das Selbstbewusstsein automatisch. Und man wird auch mutiger. Man hat einerseits soziale Kontakte im Training, und dann auch noch einmal die/den Berater*in als Unterstützung. Diese Kombination hilft sehr.

Junge Frau mit blonden Haaren und hellem Pullover
Nedima Delalic

Stefan Walthart: Die BBE ist voll ausgelastet, wir sind sogar knapp drüber mit 154 von geplanten 150 Eintritten. Das ist intensive Beratung mit sehr viel Dynamik, weil die Berater*innen viel unterwegs sind – die schauen zu den Trainings, fahren mit zum Schnuppern, begleiten die Leute zu Behördenwegen, vernetzen sich. Sie haben einen USBStick für mobiles Internet mit, damit sie von überall arbeiten können und der Informationsfluss im Team sehr rasch funktioniert. Wir drei sind auch über Teams verbunden und treffen uns in regelmäßigen Abständen persönlich. Es poppt immer wieder etwas auf, wo man schnell eine neue Lösung finden muss … Und das ist ja das Schöne daran, das ist etwas Neues, das ist ein Pilotprojekt, und da probieren wir jetzt Sachen anders aus. Da heißt es nicht „des hamma immer so g’macht“, wir sind da ein bisschen flexibler.

AKTIV: Hat auch schon jemand die Teilnahme abgebrochen?

Nedima Delalic: Nein, abgebrochen noch nicht, ein Herr ist jetzt auf Reha, aber der hat nur unterbrochen und kommt wieder zurück. Da müssen keine Ab- und Anmeldungen sein oder so.

Lola Walthart: Eine Dame musste wegen massiven gesundheitlichen Problemen das Training beenden. Da steht jetzt eine größere Operation an, und sie hat probiert, ob sie es schafft, aber das ist einfach nicht gegangen. Da ist jetzt wichtiger, dass erst mal das Gesundheitliche wieder passt. Und das Gute ist eben, die ist jetzt nicht für immer verschwunden, sondern die ist jetzt noch weiterhin beim FAB in Betreuung und dann schauen wir mal, wie es weitergeht.

Jüngere Frau mit dunklen, hichgesteckten Haaren und schwarzer Bluse
Lola Walthart

AKTIV: Eine wesentliche Rolle kommt auch dem Finanzplan zu …

Stefan Waltner: Ja, das machen wir in der BBE. Das bedeutet, dass man sich einerseits anschaut, wie lebt die Person, wie finanziert die Person jetzt gerade ihr Leben. Und dann schaut man, wieviel kommt von wo, wieviel wird wofür ausgegeben, und dann rechnet man alles zusammen und dann vergleicht man die Endsumme damit, wie es aussehen würde, wenn die Person Teilzeit oder Vollzeit arbeiten würde. Und im Idealfall sind das zwei Szenarien, wo man besser aussteigt. Nicht nur im Bezug auf das Finanzielle, auch durch Vermeidung von Altersarmut, soziale Teilhabe, dass sich auch gesundheitliche Probleme verbessern, wenn man rauskommt, in der Arbeit mit Leuten redet, neue Freunde findet, mit denen vielleicht noch auf einen Kaffee geht oder etwas unternimmt. Das ist natürlich auch Überzeugungsarbeit, aber wenn man das 13./14. Monatsgehalt dazurechnet, oder mit Kindern den Familienbonus Plus bekommt, und das dann plakativ daneben gestellt wird: du hast 400 Euro mehr im Monat und vor allem: du lebst dein Leben, sorgst für dich selbst, und kriegst später auch noch eine Pension und bist im Idealfall nicht auf Transferleistungen angewiesen. Da setzen wir dann den Hebel an.

Lola Walthart: Das Training bewegt da auch sehr viel. Oft ist da eine riesige Scheu, dass man wieder hinausgeht, wieder etwas tut. Und da sind eben diese vielfältigen Trainingsplätze, wie wir sie als Träger anbieten, super. Man sieht, man ist zu etwas fähig! Ich kann das, ich schaff das! Und die anderen sind auch mit mir zufrieden!

AKTIV: Gibt es beim Finanzplan eigentlich Leute, die sagen, na dann arbeite ich nicht 20 Stunden, bei 35 Stunden schaut mehr raus?

Stefan Waltner: Das lässt sich so nicht klar sagen – denn viele unserer Teilnehmer*innen können wirklich nicht mehr machen. Aus gesundheitlichen Gründen, oder weil es sich mit Familie, Kinderbetreuung und Pflegeaufgaben nicht vereinbaren lässt. Ich mein', wenn’s hart auf hart kommt, wenn sonst der Wohnungsverlust ins Haus steht, versucht man es vielleicht doch – aber das kann auch nach hinten los gehen. Da kann man aber jetzt noch keinen Trend ableiten, es wird solche und solche Fälle geben. Wir machen das im Zuge einer Berufsorientierung: Wie schaut’s aus, wie leben Sie jetzt eigentlich. Und aus dem heraus wird ein Plan entwickelt, der kann auch über einen Trainingsplatz laufen.

Lola Walthart: Eine der ersten Teilnehmer*innen, die über Schritt für Schritt angefangen hat, im Bereich Logistik, hat sich beim Training als so motiviert und interessiert herausgestellt: die ist jetzt auf einer befristeteten Stelle als Transitarbeitskraft, wird bei der Jobsuche nach einem dauerhaften Job unterstützt und arbeitet bei uns bei Räumungen mit.

Nedima Delalic: Bei uns ist mit dem heutigen Tag eine Dame sogar direkt in den ersten Arbeitsmarkt gewechselt. Sie war bei uns in der Lebensmittelsortierung und startet jetzt in der Schokoladenproduktion. Und die war keine zwei Monate bei uns!

AKTIV: An wie vielen Tagen sind die Leute bei euch im Training?

Nedima Delalic: Bei uns sind’s zwei mal sechs Stunden.

Lola Walthart: Das ist bei uns vom Fachbereich abhängig. Es gibt Personen, die sagen, ich schaffe nur drei Stunden am Tag, die kommen dann öfter, manche kommen zweimal in der Woche, manche dreimal.

Stefan Waltner: Und bei der begleitenden Beratung kommt der/die Berater*in, besucht die Person am Arbeitsplatz oder trifft sich mit der Fachanleitung. Es sind ja oft ganz banale Hindernisse, auf die man draufkommt – dass jemand zum Beispiel am Arbeitsplatz eine Brille braucht. Es ist natürlich auch möglich, dass die Person bei uns vorbeikommt und erzählt, wie das Training so läuft. Und sagt vielleicht, ich fühl’ mich bereit, Bewerbungen für den ersten Arbeitsmarkt zu schreiben. Dann werden Stellen recherchiert, Bewerbungen gemeinsam geschrieben, und im Idealfall haben wir dann so eine Erfolgsgeschichte. Es wäre schön, wenn sich diese Erfolge herumsprechen und das Konzept auf mehr Projekte ausgedehnt wird.

Fotos: arbeit plus Wien - Andy Urban; Symbolfoto: pixabay - geralt

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