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Mit Schnelligkeit und Akribie zum maßgeschneiderten Job

Genau so ergeht es vielen Menschen mit Störungen im Autismusspektrum, wie zum Beispiel dem 23-jährigen Philip N. Fokussierte, genaue Beobachter wie er freuen sich über Routineaufgaben, erkennen Muster, denken analytisch und logisch und finden die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, aber bei Bewerbungsgesprächen und in der sozialen Interaktion tun sie sich schwer. Deshalb werden sie am Arbeitsmarkt stark benachteiligt. Zum Glück gibt es Specialisterne Österreich, den Verein zur Förderung der Integration von Menschen im Autismusspektrum: Die Experten unterstützen die Schaffung der nötigen Rahmenbedingungen, damit Unternehmen Zugang zu diesen außergewöhnlichen Talenten erhalten und Menschen mit Autismus voll ins Berufsleben einsteigen können.

Und zum Glück gibt es Unternehmen wie die Raiffeisen Bank International (RBI), die Diversität als strategischen Schwerpunkt definiert hat, wobei der Inklusion von Menschen mit Behinderung ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Die RBI ist als eine führende Kommerz- und Investmentbank in Österreich, Zentral- und Osteuropa tätig. 13 Märkte der Region werden durch Tochterbanken abgedeckt. Darüber hinaus umfasst der Konzern zahlreiche andere Finanzdienstleistungsunternehmen. Bei einem derart großen Betrieb,der 47.000 MitarbeiterInnen beschäftigt, ist da schon einiges möglich in punkto Inklusion.

Zwie Frauen im Business-Outfit
Freuen sich über die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Specialisterne: Christina Reiter, Leiterin Recruitment und Employer Branding, und Anita Lang, Group Sustainability Management und Diversity Officer (v. l.)
Zwei Frauen im Business-Outfit sprechen mit einem jungen Mann, der nur von hinten zu sehen ist.
Der Job in der RBI, der eine besondere Begabung, Schnelligkeit und Akribie erfordert, ist genau das Richtige für jemanden mit einer Störung im Autismusspektrum wie Philip N..

„Es geht nicht darum, jetzt gezielt jemanden mit Behinderung einzustellen, sondern ich schaue, wo ich am Arbeitsmarkt die wichtigen und richtigen Kompetenzen finde, um gewisse Tätigkeiten im Unternehmen machen zu können“, erläutert Christina Reiter, Leiterin des RBI Recruitment und Employer Branding, den Blickwinkel der RBI auf die Inklusion von Menschen mit Behinderung. „Jeder Mensch hat Einschränkungen und kann manches besser und manches schlechter“, fügt Diversity-Beauftragte Anita Lang hinzu. „Deswegen sollte man die Menschen nach ihren Fähigkeiten beurteilen: Was sind die Stärken der Menschen und wofür kann ich sie gut einsetzen? Das ist eigentlich das Wichtigste.“

Ganz besondere Stärken

Viel über die Stärken von Menschen im Autismusspektrum erfuhr die Diversity-Spezialistin 2017 in einem Gespräch mit VertreterInnen von Specialisterne bei der Zero Project Conference, einer Fachtagung für Barrierefreiheit und Inklusion. Daraus ergaben sich weitere Kontakte, auch mit dem Recruiting, wobei schließlich überlegt wurde, wie man Menschen mit Autismus in die Arbeitsstrukturen der RBI einbinden könnte. In einem harten Denkprozess kristallisierten sich Tätigkeiten heraus, die nicht unbedingt in die Kompetenzbereiche der bisher damit befassten MitarbeiterInnen fielen, aber ideal für die KlientInnen von Specialisterne wären.

Und hier kommt wieder Philip N. ins Spiel, der nach einem nicht abgeschlossenen Biologie-Studium bereits ein halbes Jahr auf Jobsuche war, bevor er 2018 auf das Angebot von Specialisterne stieß. Zunächst durchlief er hier ein Screening für die Talenteschmiede. Im Kompetenz-Check stellte sich dann heraus, dass seine Stärken besonders gut im Bereich Software Testing zum Tragen kommen würden. „Im Rahmen der Software-Tester-Ausbildung TestingPro vermittelten mir Experten von Nagarro und Tricentis das Fachwissen, theoretisch sowie praktisch“, erinnert er sich. „Es gab aber auch Lerneinheiten mit Trainern von Specialisterne, die uns auf den Berufseinstieg vorbereiteten.“ Die Jobsuche lief weitgehend über den Verein.

Kennenlernen im Arbeitstraining

So kam es, dass Philip N. einer der KandidatInnen war, die sich im Jänner 2019 bei der RBI vorstellten, begleitet von ihren Specialisterne-BeraterInnen. Einen Monat lang absolvierten sie ein Arbeitstraining „wo wir uns gegenseitig kennenlernen konnten und wo die Personen auch schauen konnten, passt das auch für sie, passt das Umfeld, die Rahmenbedingungen, macht es ihnen Spaß oder nicht“, berichtet Christina Reiter. Philip N. und drei seiner KollegInnen wurden übernommen, aber weiterhin von Specialisterne gecoacht. „Das ist das Wertvollste“, freut sich die Recruiterin. „Der Coach begleitet am Arbeitsplatz, erklärt, worauf geachtet werden muss, wie der Umgang ist. Das ist extrem wichtig und hilfreich.“ Der Coach klärte auch die Teams über Autismus auf, wie man die Menschen am besten integriert, worauf man achten muss.
Besonders fiel Christina Reiter der extreme Ehrgeiz der „Neuen“ auf: „Sie wollen vieles sehr schnell und sofort und auf einmal machen. Und dieser Ehrgeiz mündete in starke Hilfsbereitschaft, wenn jemand nicht weiterkonnte. Dann haben sie gesagt: ,Wart, ich helf‘ Dir‘. Und dieser Antrieb und diese Hilfsbereitschaft sind auf alle übergeschwappt.

"Barrieren in den Köpfen überwinden"

Mittlerweile ist die RBI auch ein gefragtes Testimonial, wenn es um die Einstellung von Menschen mit Autismus geht. Diversity-Be-auftragte Anita Lang ist vor allem von der Möglichkeit der Arbeitskräfteüberlassung, die Specialisterne anbietet, angetan: „Man hat einen gewissen Zeitrahmen, wo man das auch ein bisserl testen kann. Weil man natürlich Barrieren in den Köpfen hat, und die kann man überwinden, wenn man es live ausprobiert.“

Philip N. ist jedenfalls zufrieden mit seinem Job, in dem er die aktuelle Qualität der Software testet und Abweichungen des Softwareverhaltens von den Anforderungen meldet. „Der Beruf ist vergleichsweise stressfrei, da Testphasen im Hinblick auf potenzielle Bug-Fixes und anschließendes Re-Testing großzügig geplant wurden“, berichtet er, wobei Christina Reiter die Schnelligkeit der vier MitarbeiterInnen mit Autismus bewundert: „Die Leute sind total akribisch und wahnsinnig flott. Wir würden länger dafür brauchen.“

Philip N. wurde beim arbeit plus Wien-Mitglied Specialisterne geschult und beraten und arbeitet bei der Raiffeisen Bank International.

„Leute mit Autismus haben eine ganz besondere Qualifikation.
Und die nicht zu nutzen, ist eigentlich gesellschaftlich ein absoluter Wahnsinn.“
Anita Lang, Diversity-Beauftragte der RBI

„Als die Zusage für den Job kam,
habe ich mich sehr gefreut.“
Philip N