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Der neue Job brachte Farbe ins Leben

Wenn Karin M. über ihren Werdegang spricht, sind viele Emotionen im Spiel. Mit ausdrucksstarker Stimme und Gestik zeichnet sie ein äußerst anschauliches Bild ihres Lebens. Gelernt hat die heute 48-Jährige Friseurin und Perückenmacherin, doch diese Arbeit war weder Berufung noch Erfüllung. So versuchte sie sich in verschiedenen Sparten, von Verkauf über Büro bis zum Servicebereich. 2001 wurde sie Mutter, verbrachte anschließend mehrere Jahre daheim und stieg in einem Büro wieder halbtags ins Berufsleben ein. 2015 hielt sie es nicht mehr aus, kündigte: „Ich bin da angestanden. Ich hab‘ keine Weiterentwicklung mehr irgendwo gespürt“, nennt Mild den Auslöser für die folgende Selbstfindungsphase.

Nach einer Mentalcoach-Ausbildung, die ihr half, sich selbst und ihren Weg zu finden, stellte sie ihr ganzes Leben auf den Kopf – und das nicht nur innerlich. Auch in ihrer Umgebung musste alles anders werden: noch bunter – einfach ein Ausdruck ihres neugefundenen Ich. „Statt in der Küche zu stehen, habe ich den Pinsel geschwungen. Das war für mich vom Aufstehen bis zum Schlafengehen eine totale Bereicherung. Und ich hab‘ mich wirklich glücklich gefühlt“, schwärmt Karin M.. Im Zuge dieser kreativen Selbstverwirklichung kam sie auf die Illusionsmalerei, auf neue Maltechniken und da wusste sie: „Da will ich hin.“
Aber wo könnte man das lernen, perfektionieren und ausüben? Für ein Studium an der Universität für angewandte Kunst hätte sie die Matura nachholen müssen und das wäre in ihrem neuen Sturm und Drang zu langwierig gewesen, so lange wollte sie nicht warten.

Eine blonde Frau mit schulterlangen Haaren, eine Frau mit strohblonden kurzen Haaren und ein Mann mit Bart und Halbglatze
v.l.: Manuela Vollmann (ABZ*AUSTRIA), Karin M. und Malermeister Andreas Denner
Eine Frau mit strohblonden kurzen Haaren malt ein Wandmotiv
Karin M. hochkonzentriert bei der Arbeit.

Bei einem AMS-Termin entdeckte die nach Impulsen und Antworten Suchende Info- Material zu FiT – Frauen in Handwerk und Technik, vertiefte sich darin und kam zu dem Schluss, dass der Beruf der Malerin – ein weites Feld von „Farbe an der Wand“, über Funktionsbeschichtung bis zur Dekormalerei – ihr Ziel sei. Nachdem sie beim FiT Zentrum Wien, welches von Mentor geleitet wird, einen Karriereplan entworfen hatte, machte sie einen spezifischen Vorbereitungskurs, fand mithilfe von Update-Training einen Praktikumsplatz und erhielt unterstützende Beratung bei der ABZ*FiT Frauenberatung. „Meine Beraterin hat sich immer wieder gemeldet, gefragt, ob ich etwas brauche“, erzählt Karin M.. Das gab auch eine gewisse Sicherheit: „Ich wusste, wenn irgendwas ist, kann ich jederzeit von ihr eine Unterstützung haben.“

Unterstützung für technisch interessierte Frauen

ABZ*AUSTRIA – Verein zur Förderung von Arbeit, Bildung und Zukunft von Frauen unterstützt die Teilnehmerinnen auf vielfache Weise beim Eintritt in technische Berufe. Geschäftsführerin Manuela Vollmann: „Wir schauen genau hin: Was kann diese Person leisten? Wer ist sie als Individuum? Und kann sie, will sie sich schmutzig machen? Wenn ich Malerin werden will, muss ich auch das wollen.“ Selbstverständlich arbeiten die Expertinnen diesbezüglich auch mit vielen Firmen zusammen, die – genau wie der Malereibetrieb Denner – Frauen in Technik und Handwerk fördern und weibliche Lehrlinge ausbilden: „Wir kennen uns gut aus, nicht in der Fachlehre, sondern in dem, was es sonst noch braucht“, erklärt die engagierte Verfechterin der Gleichstellung am Arbeitsmarkt. „Wir haben so diesen Blick auch auf die Lebenszusammenhänge von Frauen, also Veränderungen, Umbrüche. Wir arbeiten mit zirka 8.000 Frauen im Jahr, wir haben ein Potenzial für Fachkräfte, nicht nur als Malerinnen.“

Karin M. lernte den Malerbetrieb Denner bei ihrer Lehrstellensuche zunächst über ein Video kennen – und da stand für sie fest: „Wow. Ja, das will ich. Da fühl‘ ich mich wohl.“ Der Familienbetrieb ist seit 1911 in Wien tätig und, wie der Chef und fünffache Meister Andreas Denner lachend verrät: „Die Familie Denner experimentiert mit Farben seit dem 14. Jahrhundert herum.“ Im Familienbetrieb ist nicht nur sein Bruder, sondern mittlerweile auch der Sohn tätig, der bereits zwei Meisterprüfungen absolvierte und nebenbei Hoch- und Tiefbau studiert. Unterstützt werden die Denners von einem Team aus etwa 20 MitarbeiterInnen, die quasi zur Großfamilie zählen. Hier hält man zusammen und meistert sämtliche Herausforderungen gemeinsam: „Wir machen alles, was mit Farbe zu tun hat, ob modern oder historisch“, berichtet Andreas Denner stolz. „Und wir sind für jedes Experiment zu haben.“ Ängstlich ist hier auch keiner, tapezierten die Brüder Denner doch schon die deutsche Botschaft in Ulan Bator (Mongolei) und waren dann 15 Jahre lang international von Kuba bis Hongkong als Maler und Bodenleger tätig.

"Die brennt für das, die will das"

Seit 2005 bildet Maler Denner weibliche Lehrlinge aus – „mittlerweile zehn oder zwölf“ berichtet der Meister. Deshalb hatte er auch kein Problem mit der Bewerbung von Karin M., obwohl: „Dann hab‘ ich das Geburtsdatum gelesen, hab‘ mir gedacht: ,Pff, okay, mutig …‘“, gesteht Andreas Denner, der sie dennoch einlud. „Und in dem Gespräch hab‘ ich gesehen: Die brennt für das, die will das. Sie hat ja auch Fotos gezeigt von Zuhause, das spürt man einfach.“ Und dann ging’s gleich aufs Ganze, denn Maler Denner fördert seine Lehrlinge, aber er fordert sie auch: Im zweiwöchigen Praktikum schickte er die Kandidatin zu einem anspruchsvollen Projekt, so richtig mit hohen Leitern, abbeizen – eben auch schmutzige, anstrengende Arbeit. Doch Karin M. konnte das nicht von ihrem Traumberuf abbringen, sie biss sich mit Begeisterung durch, überzeugte ihren Lehrherrn: „Es wird Vertrauen in mich gesetzt, ich bekomm‘ wahnsinnig viel Unterstützung.“
Ihr Tagesablauf ist jeden Tag anders, aber immer bunt: „Ich komm‘ glücklich in die Firma, ich seh‘ meine Kollegen, ich freu‘ mich auf eine Herausforderung“, strahlt die mittlerweile knapp vor der Meisterprüfung  stehende Malerin.

Karin M. wurde beim  arbeit plus Wien-Mitglied  ABZ*AUSTRIA beraten und ist im Meisterbetrieb Tapeten – Malerei – Anstrich Denner in Wien-Margareten beschäftigt.
 

„Ich wünsche jedem,  dass er so ankommt, wie ich angekommen bin.“
Karin M.

„Der ältere Lehrling weiß, was er will. Da ist ein gewisser Reifeprozess schon erledigt.“
Andreas Denner,
Tapeten – Malerei – Anstrich Denner