Jobmesse-Mediengespräch: Chancen geben und Potenziale nützen - arbeitslose Personen mit aktiver Unterstützung zurück im Job
26.09.2024, Der Arbeitsmarkt braucht die Expertise der Sozialen Unternehmen!
Liebe Silvia Hofbauer, es gibt einen ganz speziellen Anlass für das heutige Interview: Die Arbeiterkammer hat zwei neue Studien zur Einkommenssituation von arbeitslosen Menschen in Österreich präsentiert. Qualitativ und quantitativ ist dabei beleuchtet worden, wie sich die materielle Situation von Menschen ohne Erwerbsarbeit in Österreich darstellt. Daher gleich meine erste Frage: Lebt es sich hierzulande gut ohne Erwerbsarbeitseinkommen?
Silvia Hofbauer (SH): Das kann man klar beantworten: Nein, es lebt sich nicht sehr gut! Vielleicht ein bisschen ein Hintergrund, warum wir diese Studie gemacht bzw. beauftragt haben: Es ist so, dass wir vor genau 10 Jahren bereits eine solche Studie beauftragt haben und auch da waren die Ergebnisse heftig.Schon damals war klar, dass es schwierig ist, während der Arbeitslosigkeit mit dem Einkommen auszukommen. Die Menschen mussten schon vor 10 Jahren viele Einsparungen machen, und das hat natürlich auch ihre Familienangehörigen betroffen. Wir wollten angesichts der vielen Krisen einerseits, die wir in der letzten Zeit hatten, angefangen mit Corona und jetzt mit den Kriegssituationen, der Teuerung und auch aufgrund der Erfahrungen, die wir auch in der Beratung haben, schauen, ob und wie sich die Situation verändert hat. Unsere Beratungszahlen steigen ganz massiv an. Immer mehr Menschen kommen zu uns, wegen rechtlicher Fragen. Aber das heißt, es sind immer mehr Leute betroffen und es wird immer schwieriger für sie.
Deswegen haben wir uns entschlossen, neue Studien zu beauftragen, einerseits eine quantitative Studie eben und eine qualitative Studie. Das Dramatische ist, dass die Ergebnisse noch einmal deutlich schlechter geworden sind, und zwar in allen Bereichen, wenn man sich die Menschen, die vor Beginn der Arbeitslosigkeit gut leben konnten, ansieht. Wir haben gefragt, oder vielmehr „prospect“ hat in unserem Auftrag gefragt, ob die Menschen vor der Arbeitslosigkeit gut von ihrem Einkommen leben konnten.Da haben 22 % angegeben „sehr gut“, weitere 31 % „vollkommen ausreichend“. Und wenn man sich jetzt ansieht, wie sich das während der Arbeitslosigkeit entwickelt: Da können von diesen Personen nur noch 2 % „sehr gut“ von ihrem Einkommen leben und weitere 6 % finden die finanzielle Lage „vollkommen ausreichend“. Das ist wirklich dramatisch, wie schlecht es den Menschen geht. 54 % der Befragten – also mehr als die Hälfte – geben an, dass sie während der Arbeitslosigkeit nicht von ihrem Einkommen leben können. Wir haben auch nach der Inflation gefragt, und da sagen 60 %, dass das ein zusätzlicher Belastungsfaktor war. Dazu muss man vielleicht auch sagen, dass ja viele Sozialleistungen erhöht oder an die Inflation angepasst wurden, aber die Leistungen bei Arbeitslosigkeit sehr bewusst nicht. Die Einmalzahlungen waren zwar hilfreich, aber keinesfalls ausreichend.
... und auch nicht nachhaltig. Das heißt also, viele müssen sich zum Beispiel über Angehörige diese Zeiten noch zusätzlich finanzieren, aber auch über Schulden natürlich.
SH: Genau. Wir haben im Detail nachgefragt und ein klares Ergebnis ist, dass man sagen kann, dass es hier eine gewisse Typologie gibt. Wann ist man besonders von der verschlechterten finanziellen Lage belastet? Da sind die Faktoren einerseits, wie stabil war die Arbeitskarriere vorher, wie gut war die Ausbildung vorher, wie oft war Arbeitslosigkeit im Vorfeld gegeben. Wie gut war die Arbeit davor? Aber ganz stark spielt hier ein Faktor mit: Habe ich Angehörige, habe ich ein soziales Netz, das mir hilft? Denn die, die kein soziales Netz haben, sind besonders belastet. Das sind ganz stark natürlich die Alleinerzieherinnen, die in vielfacher Hinsicht betroffen sind, aber nicht nur sie, auch Personen mit Migrationshintergrund trifft das viel stärker. Wir merken ganz klar, dass diese Faktoren die Situation einer Person noch einmal deutlich verschlechtern. Und wenn man sich anschaut, wie sie tun: zuerst werden alle Ersparnisse aufgebraucht, aber natürlich wird auch da als Erstes das Partnereinkommen herangezogen, und dann beginnen die Menschen zu sparen. 88 % der Befragten in einem Sample von fast 500 Menschen sagen, dass sie ihre Haushaltsausgaben reduzieren müssen. Das betrifft in Wahrheit alle Lebensbereiche – beginnend mit Kleidung, Schuhen, Urlaubsreisen, Freizeitaktivitäten, aber gleich danach kommen schon in ganz hohem Ausmaß wirklich grundlegende Bereiche wie Ausgaben für Lebensmittel und Heizen. Es sind genau 6 %, die sagen, dass sie nicht einsparen müssen, und das sind im Wesentlichen die, wo es auch ein gutes Partnereinkommen gibt, wo das einfach nicht so dramatisch ist. Und was man vielleicht noch sagen kann – das nächste Mittel sind natürlich dann Zahlungsverzüge, die ganz stark immer wieder vorkommen, vor allem auch bei Miete und Betriebskosten. Und dann aber auch Telefon und andere Bankzahlungen.
Vielleicht darf ich an dieser Stelle ein Zitat aus der qualitativen Studie nennen, das lautet: „Also die letzten Monate musste ich mir aussuchen, zahle ich die Miete oder kaufe ich Essen für meine Kinder?“ Und das ist etwas, was man in der letzten Studie schon gesehen hat, was aber sehr deutlich auch in dieser Studie sichtbar wurde: Die Kinder sind ganz stark betroffen. Das heißt, ein großer Teil sagt, es gibt nicht mehr die Möglichkeit, an allen schulischen Aktivitäten teilzunehmen. Exkursionen, Skikurse sind ein Problem und natürlich in noch viel größerem Ausmaß auch außerschulische Aktivitäten, sei es Kinobesuche, Geburtstagseinladungen und so weiter. Was mir besonders viel Sorge bereitet, ist, dass 11 % sogar angegeben haben, dass ihre Kinder ihre Ausbildung abbrechen mussten, weil sich die Familie das nicht mehr leisten kann. Und das ist etwas, was wirklich dramatisch ist, weil die Zukunft der Kinder hier ganz stark auch beeinflusst wird.
Bezeichnend, weil wir wissen, dass ein wesentlicher Anteil an arbeitslosen Personen die sind, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben.
SH: Genau das. Jetzt gibt es diese Erkenntnisse, sowohl qualitativ als auch quantitativ.
Wofür kämpft die Arbeiterkammer? Was sind Forderungen, die sich aus dieser Studie ableiten?
SH: Wir haben hier sehr klare Forderungen, die eigentlich einen sehr breiten Bereich abdecken. Aber beginnen wir vielleicht wirklich mit der Arbeitslosenversicherung: Unsere grundsätzliche Forderung ist: Arbeitslosigkeit darf nicht in die Armut führen, darf nicht in die Krankheit führen, denn das ist der Befund dieser Studie – Arbeitslosigkeit macht arm, sie macht krank und sie macht einsam. Und diese Wirkungen muss man aufhalten. Das heißt, einerseits braucht es eine Verbesserung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit, ein höheres Arbeitslosengeld – unsere Forderung von 70 % ist nicht ganz neu. Es braucht unbedingt eine Valorisierung der Leistungen, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Der Familienzuschlag von 97 Cent pro Kind ist schließlich seit 2001 nicht mehr erhöht worden. Da ist es wirklich höchste Zeit. Das sind die einen Dinge, aber auf der anderen Seite braucht es, was die Arbeitslosenversicherung betrifft, natürlich auch inhaltliche Verbesserungen. Denn eines zeigen die Studien sehr deutlich, und das ist hier natürlich auch Thema: Wenn man einmal in diesem Kreislauf drinnen ist – niedriges Einkommen, instabile Arbeitsverhältnisse, dann wird man wieder arbeitslos – dann kommt man da auch nicht einfach raus. Das heißt, es kommt auch darauf an, wie wird denn vermittelt. Und hier glauben wir, dass es einfach keinesfalls angesagt ist, wie man es jetzt immer mehr zu hören bekommt, dass Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft werden müssen. Nein, unseres Erachtens nach sind diese streng genug. Es gibt wirklich dramatische Beispiele. Ich habe etwa ein Beispiel, wo jemand auf eine Teilzeitbeschäftigung mit 800 € brutto vermittelt wurde und das hat vor Gericht gehalten. Und das nicht, weil sich jemand die Teilzeitbeschäftigung ausgesucht hat, sondern weil nicht mehr angeboten wurde. Das sind Dinge, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte. Arbeit, in die man vermittelt wird, muss existenzsichernd sein. Es braucht eine gute Vermittlung. Und gute Vermittlung, das heißt, man muss auf Kompetenzen schauen, die es gibt.
Man muss versuchen, in gute Beschäftigungen zu vermitteln und nicht die Daumenschrauben noch stärker anzuziehen, weil die sind bereits stark genug. Für uns ist klar, es braucht hier auch eine Reform der Zumutbarkeitsbestimmungen und es braucht natürlich auch die Möglichkeit, dass es wieder mehr Arbeitsplätze gibt. Es braucht hier also konjunkturelle Maßnahmen. Ganz besonders dringend wäre das in Bereichen, die wir ohnehin auch aufgrund der Klimakrise und so weiter brauchen. Hier muss investiert werden, hier entstehen auch neue Arbeitsplätze.
Und als letzten Punkt, Menschen müssen auch die Möglichkeit haben, gute Qualifikationen zu erhalten. Wie schon vorher von euch angesprochen, ein großer Teil der Personen, die arbeitslos sind, hat maximal einen Pflichtschulabschluss. Hier muss es die Möglichkeit geben, diese Qualifikationen auch zu erwerben. Das heißt, das Arbeitsmarktservice darf nicht nur die vorrangige Aufgabe haben, zu vermitteln, sondern auch zu qualifizieren. Das heißt, auch Menschen, die in einem Hilfsbereich tätig sind, sollen die Möglichkeit haben, einen Abschluss zu erwerben. Das ist derzeit, wenn sie nicht gesundheitlich beeinträchtigt sind, in Wahrheit nämlich nicht so.
Alle unsere Mitglieder sind im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik tätig. arbeit plus Wien setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen auch gut bleiben und, dass ausreichend finanzielle Mittel geboten werden, damit effizient und zielgerichtet entsprechend auch den Punkten, die du genannt hast, für die Betroffenen gearbeitet werden kann. Aber unsere Mitgliedsunternehmen brauchen auch Finanzierungssicherheit und eine stabile Basis, um die bewährten vorhandenen Modelle und Strukturen sowie ihr Angebot aufrecht erhalten zu können. Wir ziehen da vielfach an einem Strang. Aber ganz konkret: Was wird und was kann die AK dazu beitragen, auch dieses Thema bewusst zu machen? Noch dazu warten wir alle gespannt auf eine Regierungsbildung. Die Budgets werden knapper werden und gleichzeitig ist diese Notwendigkeit da, Arbeitsmarktpolitik auch bei steigenden Arbeitslosenzahlen, oder gerade deswegen, zu fördern.
SH: Ich glaube, dass es wirklich der falsche Weg ist, bei der Arbeitsmarktpolitik zu sparen. Das sieht nicht nur die AK so, das sieht zum Beispiel auch das WIFO so. Jetzt sitzen wir ja nicht in einer Regierung, aber wir versuchen, unseren Teil beizutragen und Überzeugungsarbeit zu leisten, dass es der vollkommen falsche Weg ist, beim Arbeitsmarktpolitik-Budget einzusparen. Hier haben wir für 2025 schon ein Problem, für 2026, wenn sich nichts ändert, gäbe es dann ein noch viel größeres Problem und das darf so nicht eintreten. Wer auch immer in der Regierung sitzt oder auch die Regierungsverhandlungen führt, wir werden versuchen, hier unsere Stimme zu erheben, damit auch daran gedacht wird, dass das Budget für die Arbeitsmarktpolitik nicht weiter eingespart werden darf, sondern im Gegenteil – das muss erhöht werden.
Aber nicht nur das Budget, sondern auch die Personalressourcen. Denn damit die richtigen Menschen die richtigen Angebote wählen können, damit hier dieser Kontakt auch zu den sozialen Unternehmen gut passt, damit hier die richtigen Maßnahmen entwickelt und beauftragt werden und die Leute auch gut vermittelt werden, braucht es genügend Personal beim Arbeitsmarktservice. Derzeit wird weiterhin abgebaut. Das halten wir für völlig absurd, dass weiterhin 37 1/2 Planstellen abgebaut werden, wenn die Arbeitslosigkeit seit Jahren wächst, insbesondere auch bei Gruppen wie den Jugendlichen, wo es wirklich viel an Investitionen und viel an Einfühlungsvermögen und daher auch an personellen Ressourcen braucht. Und gerade in Wien ist es ganz dramatisch, hier gibt es viele Menschen mit Migrationshintergrund, und die brauchen mehr Unterstützung. Hier braucht es gut ausgebildete Menschen, diese Personen in Beschäftigung zu bringen, aber auch ein gutes Erstgespräch, wo man schaut, was fehlt, was braucht es, was ist da, welche Kompetenzen können anerkannt werden, damit das gut passt. Und vielleicht noch spezielle Unterstützung in den sozialen Unternehmen. Also gerade hier brauchen wir Antworten.
Auch die Langzeitbeschäftigungslosigkeit steigt, und das ist ein Problem, das wir unbedingt in den Griff bekommen müssen. Es gibt hier mehrere Ansätze, es gibt hier den Ansatz aus Niederösterreich mit dem Marienthal-Projekt, das ein wichtiger und guter Ansatz ist, der gezeigt hat, dass das möglich ist. Es ist ein Projekt, das man in vielen kleinen Gemeinden in Österreich machen kann. Ich weiß aber nicht, ob das der richtige Weg für Wien ist. Das gestaltet sich in der Großstadt doch anders. Aber es gibt hier zum Beispiel das Projekt „Schritt für Schritt“ für Menschen, die lange arbeitslos sind, das zeigt, wenn man hier gut hinschaut, wenn man die richtigen Angebote macht und vor allem dranbleibt und auch die Möglichkeit gibt, zu scheitern und noch mal zu starten, dass hier vieles möglich ist. Und es ist kein Weg für uns, überhaupt kein Weg, zu sagen, wir haben alles probiert, dann müssen die Leute halt in die Sozialhilfe und wir vergessen sie. Das geht gar nicht. Daher braucht es hier eine Jobgarantie im weitesten Sinne. Das heißt, es muss Möglichkeiten auch für diese Menschen geben. Da sind vor allem die sozialen Unternehmen gefragt, da ist vor allem der zweite Arbeitsmarkt gefragt, der muss gut organisiert und gut finanziert werden und die Maßnahmen gut abgestimmt werden, weil diese Lösung brauchen wir unbedingt. Dafür setzen wir uns ein. Auf allen Ebenen, die uns möglich sind.
Und du bist ja auch an ganz wesentlicher Stelle, was die AMS-Tätigkeiten betrifft.
SH: Genau, ich sitze im Verwaltungsrat, im Präsidium und werde versuchen, hier mein Möglichstes dazu beizutragen und wir als AK werden die Stimme so laut als möglich erheben und schauen, dass wir hier was tun können.
Liebe Silvia, vielen Dank für das Interview.
Hier geht's zu den Studien: Auskommen mit dem Einkommen bei Arbeitslosigkeit und Abgesichert Auskommen oder nicht mehr über die Runden kommen?
Fotos: arbeit plus Wien/Czak, pixabay/Chronomarchie/Andrew Khoroshavin
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