arbeitplus wien
arbeitplus wien
Ein gabarage-Geschäft: Im Hintergrund Kleiderstangen mit bunten Kleidungsstücken, im Vordergrund ein Sitzmöbel aus Rolltreppenstufen und eine Schaufensterpuppe mit gabarage-Rucksack

Portrait gabarage - upcycling design

Was ist das zentrale Anliegen von gabarage?

Schon im Namen unseres Vereins gabarage – upcycling design (gabarage) - Verein für die nachhaltige Lösung sozialer, ökologischer und gesellschaftlicher Probleme ist unser zentrales Anliegen enthalten. Unser Fundament besteht aus dem Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung, Design und Ökologie. Unter dem Motto: „Alle(s) braucht eine 2. Chance“ fertigen wir in 100 % Handarbeit aus Restmaterialien, ausrangierten Produkten, Fehlproduktionen, etc. neue Produkte zu werden und verlängern damit den Produktzyklus der Ausgangsmaterialien. Das Potential des Veränderungsprozesses, der neue Kontext unserer Produkte verbunden mit dem hohen Designanspruch und die Menschen die bei gabarage – upcycling desing beschäftigt sind, sind zentral bei Produktentwicklung und -produktion und das zu einem sehr frühen Stadium. Unsere Ausgangsmaterialen bestimmen das Endprodukt! Am Beginn jedes Designprodukts steht daher nicht die Idee und danach die Suche nach dem geeigneten Material, sondern umgekehrt! Bei diesem Prozess ist ebenso die Einbindung der Kreativität aller Mitarbeiter*innen von Bedeutung. Der gesamte Prozess wird bei gabarage als erweiterte Definition von social design verstanden sowie als Empower-Instrument für die Beschäftigten in den Werkstätten angewendet. Am Ende steht ein qualitativ hochwertiges (Design-)Produkt. Einige von ihnen wurden im Laufe der fast 20 Jahre auch ausgezeichnet.

Was waren die wesentlichen Weichenstellungen/Etappen in der Entwicklungsgeschichte von gabarage (vom Beginn bis heute)?

Wesentliche Bausteine unserer Geschichte sind von der Gründung 2002 als Sozialökonomischer Betrieb des Anton Proksch Instituts, im Rahmen von EQUAL 1 (Anm.: Gemeinschaftsinitiative betreffend grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Förderung neuer Wege zur Bekämpfung jeglicher Art von Diskriminierung und Ungleichheiten in Verbindung mit dem Arbeitsmarkt – Agenda 2000), als Projektpartner der Wiener Entwicklungspartnerschaft drugaddicts@work, über 2011 die Gründung eines unabhängigen Trägervereins „social-design-business – Verein zur Förderung der Sozial- und Kreativwirtschaft, mit der Zielsetzung als gemeinnütziges social business weitere Entwicklungsschritte in der Produktentwicklung und bei Beschäftigungsmöglichkeiten für marginalisierte Personen setzen zu können, bis zur aktuellen Ausrichtung 2021 als gemeinnütziges Sozialunternehmen gabarage – upcycling design, welches für unterschiedliche Zielgruppen (chronisch Suchtkranke, Jugendliche und junge Erwachsene mit multiplen psychosozialen Problemstellungen und komorbiden Erkrankungen, Menschen mit Fluchthintergrund,  Menschen mit Hör- und Sprachdefiziten, etc.) niederschwellige Beschäftigung, Angestelltenverhältnisse, berufsnahe Qualifizierung und Ausbildung (Lehrabschlüsse) in Wien und NÖ anbieten zu können. Besondere Bedeutung hatte, auch im Sinne der sozialen und ökologisch Nachhaltigkeitsverpflichtung von gabarage – upcycling design, 2020 die durchgehende Aufrechterhaltung des operativen Betriebs während der CoVid19-Pandemie und 2021 die Übernahme einer biologischen Suppenküche in NÖ. Wichtig für diesen Weg war dabei auch der Übergang von der Trägerschaft des Anton Proksch Institut zur Gründerin und das Agieren als selbständige Unternehmerin, was einerseits einen hohen persönlichen Einsatz, Risikobereitschaft und persönliche Haftungsübernahme bedeutet hat. Das heutige Standing von gabarage -upcycling design sowie die laufende Weiterentwicklung bestätigen diesen Weg und sichern das Weiterbestehen auch in sehr herausfordernden Zeiten, aus meiner Sicht nachhaltiger ab.

2022 feiern wir 20jährige und äußerst bewegten Geschichte, die konsequent von Wandel und auch ungewöhnlichen neuen Wegen geprägt war.  Ob das die Teilnahme mit einer gesamten upstyle Kollektion an der Vienna Fashion Week in der CloseUp Show von Mario Soldo war, oder auch die mehrmalige Teilnahme am Life Ball mit upstyle Roben, die Ausstattungen diverser Diversity Bälle mit Interieur und dem jeweiligen upstyle Mottokleid für die Ballmutter, bis zum Landart Projekt am Friedrichhof in Burgenland, die Gestaltung der ersten upcycling design Zimmer nach Filmmotiven im Hotel Binder NÖ oder aktuell 17 Hotelzimmer nach 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG’s) der Vereinten Nationen im Boutiquehotel Stadthalle Wien, sind nur ein paar Beispiele dafür, dass gabarage – upcycling design ungewöhnliche Wege geht, wenn es darum geht das Credo „100 % Handarbeit, lokal und regional“ und dabei am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen zu beschäftigen und auszubilden, umzusetzen.

Das Besondere bzw. Einzigartige an gabarage ist …?

Aus meiner Sicht gibt es nichts, was an uns nicht einzigartig ist! Wir waren vor fast 20 Jahren die ersten (nicht nur in Österreich), die Upcycling – Design – Ökologie und die Beschäftigung von am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen in dieser Form umgesetzt haben. Damals mit einer Zielgruppe die häufig hoch stigmatisiert war und ist: Drogenabhängige. Wenn ich heute die Vielzahl der Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichen spezifischen psychosozialen Problemlagen, somatischen und psychiatrischen Erkrankungen, Armutserfahrungen, etc. und die Mitarbeiter*innen die sie auf dem Wegs der (Re-)Integration, Rehabilitation und Teilhabe begleiten und unterstützen dann bin ich immer wieder beeindruckt, wie hervorragenden sie alle im Laufe der vielen Jahren die Herausforderung des täglichen Spagates zwischen ökologischem Zugang, Produktentwicklung und Produktion, sozialer Verantwortung, Kreativität und hoher Qualität sowie der notwendigen Ruhe und Gelassenheit trotz teilweise immensem Auftragsdruck mit Menschen arbeiten, die mehr Aufmerksamkeit, Hinwendung sowie Bestätigung und Anerkennung aber auch Grenzen brauchen als andere. Dieser Bedarf ergibt sich aus den z.T. massiv belastenden Lebenserfahrungen und den Sollbruchstellen in ihren Lebensentwürfen, die unsere befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sich bringen. Die Bandbreite ist enorm und reicht von Traumata durch Gewalt- und unterschiedlichen Missbrauchserfahrungen über Krieg und Flucht über gesundheitliche Einschränkungen aufgrund langjährigem Substanzkonsum, langjährige Hafterfahrungen bis zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Mobbingerfahrungen, etc.  Lebensverläufe, denen wir versuchen eine positive und nachhaltige Wendung zu geben.

Das erfordert nicht nur viel Engagement und Kreativität sondern auch Professionalität und Fingerspitzengefühl. Dabei darf nie vergessen werden, dass wir uns am Markt behaupten müssen. Upcyclingprodukte sind längst weit verbreitet und auch im Bereich der Sozialen Unternehmen gibt es Mitbewerber*innen. Einem Markt, in dem nun Begriffe die seit fast 20 Jahren unser Herzblut unsere DANN ausmachen, erst in jüngerer Zeit als relevant erkannt wurden. Die Einzigartigkeit ist sicher in unseren Produkten aber am deutlichsten erkennbar. Wir haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch an unsere Produkte die mit innovativem Designgeist und mit der Liebe zum Detail entwickelt werden und die, auch wenn manche von ihnen auch in Serien produziert werden, Unikate jedes für sich sind.  

Zur Entstehungsgeschichte: Welche zentrale Überlegung war für die Gründung von gabarage ausschlaggebend?

Gabarage wurde 2002 als Partner der Wiener Entwicklungspartnerschaft drugaddicts@work im Rahmen des EU-Förderprogramms Equal 1 entwickelt. Damals galt es, ein Angebot für eine sehr spezielle Zielgruppe zu schaffen, um den großen Bedarf an nachhaltiger sozialer und beruflicher (Re-)Integration und Rehabilitation abzudecken. Insbesondere im Bereich der Arbeit mit chronisch Suchtkranken ging es dabei auch um gesellschaftliche Bewusstseinsbildung, den Abbau von Vorurteilen und Entstigmatisierung. Der Zugang von gabarage – upcycling design war und ist dabei, der eines erweiterten Kunstbegriffs, den der sozialen Plastik und dem Credo „Jede(r) ist ein Künstler/eine Künstlerin“, mit allem was wir tun wirken wir auf und in der Gesellschaft, sowie der Verbindung von Upcycling, Design, Ökologie und Übernahme von sozialer Verantwortung. Ziel war/ist dabei, eine hohe Selbstwirksamkeit und Empowerment durch die kreative Arbeit und die Produktion sehr gefragter Designprodukte. Wichtig bei der Gründung war auch der Standort von gabarage. Ganz bewusst wurde dafür die Schleifmühlgasse in 1040 Wien gewählt. gabarage war als „offene“ Werkstatt konzipiert. gabarage, die Mitarbeiter*innen und die Produkte sollten gesehen werden. Öffentlichkeit und das sichtbar machen, waren wesentlicher Teil der Konzeption. Bewusst sollte eine breite Öffentlichkeit angesprochen werden, die wiederum mit dem gesellschaftlichen Widerspruch von „Wegwerfprodukte der Gesellschaft“ und „Abfallprodukte der Wirtschaft“ konfrontiert werden.

Was ist die größte Herausforderung, mit der/gabarage zu kämpfen hat?

Die aktuell größte Herausforderung ist das wirtschaftliche Überstehen der Krise, die durch die Covid-19 Pandemie ausgelöst wurde. Wie sich diese auf unsere Kund*innen und Partner*innen auswirken wird, ist aktuell noch nicht einschätzbar. Die Zeichen stehen vorsichtig gut, aber vor allem der Verkauf im Shop ist eingebrochen. Hier sind unsere Herausforderungen ident mit vielen anderen Geschäften im Handel. Wir müssen abwarten, wie es uns gelingt den Verkauf wieder anzukurbeln. Das b2b Geschäft verhält sich aktuell noch stabil. Hier gehen wir aktuell aber ebenso nicht mit großen Zuwächsen aus. Vorsichtig optimistisch würde ich unsere Situation bezeichnen.

Wie würden Sie die Wirkung von gabarage beschreiben?

Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur ein Modewort, sondern Unternehmensphilosophie, Motto und gelebte Alltagsrealität zugleich. Unsere Produkte wirken. Dies sehen wir nicht nur durch zahlreiche Designpreise und Auszeichnungen sowie in der Hinwendung und teilweise langjährige Verbundenheit unserer Kundinnen und Kunden. Bei jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die durch und bei gabarage – upcycling design qualifiziert und ausgebildet werden, sehen wir nachhaltige im Sinne von langfristigen Erfolgen, die uns mit großer Freude stolz und auch zuversichtlich für die Zukunft machen.  Und nicht zuletzt im ökologischen Anspruch. Wir sind davon überzeugt, dass wir tatsächlich zu Recht behaupten können, dass wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass mit den Ressourcen unseres Planeten schonender, langfristiger umgegangen wird und durch unser Tun gleichberechtigte Teilhabe für Menschen möglich wird und ist.

Was ist für Sie der größte Erfolg Ihres Unternehmens?

gabarage hat es als einziger Partner der damaligen Entwicklungspartnerschaft geschafft bis heute zu bestehen, dabei die Transformation vom Projekt als sozialökonomischer Betrieb zum gemeinnützigen Sozialunternehmen zu schaffen, sein Gründungskonzept auch für andere am Arbeitsmarkt benachteiligte Personengruppen zugängig zu machen und auch in anderen Bundesländern tätig zu sein. Eine lebendiges, nachhaltiges Sozialunternehmen zu sein, das ist für mich der größte Erfolg.

Welche Bedeutung wird Ihres Erachtens die Kreislaufwirtschaft für den Arbeitsmarkt 2030 haben?

Das Modell der Kreislaufwirtschaft ist aus meiner Sicht die einzige Option für die Herausforderungen der Zukunft.  Die Umsetzung eines regenerativen Systems, in dem Ressourceneinsatz und Abfallproduktion, Emission und Energieverschwendung durch das Verlangsamen, Verringern und Schließen von Energie- und Materialkreisläufen minimiert werden, wir leider noch viel zu oft unterschätzt. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung, Recycling, Remanufacturing, u. a. nicht nur für am Arbeitsmarkt benachteiligte Personengruppen sollte nicht unterschätzt werden. Hier eine differenzierte Potentialanalyse unter Einbeziehung aller Akteur*innen (Sozialpartnerschaft, Interessenvertretungen, österreichweite Netzwerke wie arbeit plus, u. a.) könnte meines Erachtens auch Bereiche aufzeigen, die uns heute noch nicht bewusst sind. Wenn wir diese unser aller Welt für unsere Nachkommen erhalten wollen, ist es höchste Zeit unser Produktions- uns Konsumverhalten zu überdenken und andere, neue Wege zu beschreiten. Ich gehe davon aus, dass 2030 kaum jemand mehr in Frage stellen wird, was Kreislaufwirtschaft ist und kann.

 

„Arbeitsmarktpolitik Aktiv“: Die Zeitschrift von arbeit plus Wien

„Arbeitsmarktpolitik aktiv“ informiert alle Interessent*innen zweimal jährlich über aktuelle Entwicklungen in der österreichischen und Wiener Arbeitsmarktpolitik, Aktivitäten und Neuigkeiten bei den Mitgliedsorganisationen von arbeit plus Wien sowie über Publikationen und Veranstaltungen zu unseren Kernthemen Arbeit und Arbeitslosigkeit.  Ausgabe 1/2021 widmet sich zur Gänze dem Thema Kreislaufwirtschaft - hier können Sie das gesamte Heft nachlesen.

Presse & News

Aktuelle Aussendungen

Alle anzeigen