arbeitplus wien
arbeitplus wien

Schluss mit dem Versteckspiel

Natascha M. arbeitete 17 Jahre im Lokal ihres Mannes mit, doch dann kam Corona: Alles wurde geschlossen, es war kein Geld mehr für Löhne da. „Wir haben 1000,- Euro Härtefallfonds im Monat bekommen – das war nicht machbar. Wir haben die Lebensversicherung aufgelöst, vom Ersparten gelebt – bis es eben weg war“, schildert sie die dramatische finanzielle Situation. Es musste etwas geschehen, zumal drei Kinder zu versorgen waren. Das Unternehmen wurde verkleinert und Natascha M. begann mit der Suche nach Weiterbildungen und einem neuen Job.

Dass die Jobsuche alles andere als leicht werden würde, war ihr klar: „Ich bin Epileptikerin, eine chronische Erkrankung, und habe früher schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn man das bei einem Vorstellungsgespräch sagt, wird an gar nicht eingestellt. Wenn man es nicht sagt, ist man spätestens beim ersten Anfall gekündigt, weil man das verschwiegen hat.“ Die gelernte landwirtschaftliche Facharbeiterin, Schwerpunkt Pferdewirtschaft – „damit kann man in Österreich genau nichts anfangen“ – arbeitete nach ihrem Fachschulabschluss in einer Trafik. Anschließend absolvierte Natascha M. die Ausbildung zur staatlich geprüften Ordinationshilfe – und wurde nach eineinhalb Jahren Arbeit bei einem praktischen Arzt „wegen eines epileptischen Anfalls abserviert“. Hätte sie damals nicht die Chance erhalten, in einem Lokal im Service zu arbeiten, wäre sie wohl länger arbeitslos gewesen – „und das mit 20, 25 Jahren“, berichtet die 44-Jährige. Dieser Job veränderte ihr Leben nachhaltig: Nach drei Jahren heiratete sie den Juniorchef, ihren heutigen Mann, der dann das Lokal seines Vaters weiterführte – bis eben die Pandemie alles zerstörte.

Eine jüngere Frau im dunklen T-Shirt mit langen Haaren und Mittelscheitel
Natascha M. liebt ihren neuen Job im "Speiseamt".

Doch Natascha M. gab nicht auf, fragte ihre AMS-Beraterin gezielt nach QualiTRAIN und startete im Jänner 2022 in diesem vom Sozialministeriumservice geförderten Projekt, das speziell auf Menschen mit chronischer Erkrankung oder einer Behinderung ab 50 % zugeschnitten ist. Projektleiterin Julia Marschan: „Das Besondere bei uns ist die Kombination aus Arbeitstraining und gleichzeitig dem Aufholen von Wissenslücken. Nach langer Arbeitslosigkeit, gerade wenn man eine chronische Erkrankung oder Behinderung hat, ist es oft viel schwieriger, Fuß zu fassen. Da versuchen wir den Weg zu ebnen und die Möglichkeit zu geben, wieder Praxis zu sammeln, sich selbst auch wieder als kompetent zu erleben, als jemand, der einen Job ausführen kann.“ Davon konnte Natascha M. besonders profitieren und auf ihrer Erfahrung aufbauen: „Mir war von vornherein klar, dass ich in der Gastronomie bleibe, aber mich vom Service und Kochen ins Büro entwickle.“ Sie machte verschiedene Schulungen, zum Beispiel EDV, aber immer verschränkt mit sehr viel Büro-Praxis.

Für M. war es vor allem wichtig, dass man hier ihre chronische Erkrankung kannte und einfach akzeptierte als etwas, das eben unabänderlich ist. „Das hat mir eine innere Ruhe gegeben. Es kann nix passieren, wenn ich jetzt umkippe, kipp ich um. Ich arbeite am nächsten Tag wieder, es ist alles in Ordnung“, ist die 44-Jährige dankbar. Früher, das Versteckspiel, der seelische Druck, dass nichts „passieren“ dürfe, habe sie oftmals in einen Anfall getrieben. „Dieser Stress fällt hier komplett weg. Ich bin ja medikamentös gut eingestellt. Ich hab‘ oft drei, vier Jahre keinen Anfall. Und dann kommt’s halt wieder. Aber dieses Wissen, dass alle Bescheid wissen, und ich trotzdem angestellt wurde, das beruhigt von innen sehr.“

Eine Frau im dunklen T-Shirt und langen zurückgebundenen Haaren mit Mittelscheitel und eine Frau mit Brille und langen, offenen Haaren lächeln in die Kamera.
Natascha M. ist heute eine Kollegin von QualiTRAIN-Projektleiterin Julia Marschan.

Und weil es im Leben nicht nur Hindernisse geben kann, hielt das Schicksal für Natascha M. eine besondere Überraschung bereit: Wien Work suchte gerade eine Sachbearbeiterin fürs Speiseamt – und wer wäre dafür wohl besser geeignet als eine erfahrene Gastronomin? M. konnte schon vorfühlen, ob das der ideale Job für sie wäre, und ihre zukünftigen Arbeitgeber*innen und Kolleg*innen hatten die Chance, sie näher kennenzulernen. Alles passte, und im Juli 2023 feierte sie bereits einjähriges Jubiläum bei Wien Work. Ihr Aufgabengebiet umreißt die „Sachbearbeiterin für Veranstaltungsservice, Brötchen- und Tortenservice“ als „Mädchen für alles“. Sie nimmt Bestellungen entgegen, plant Hochzeiten, teilt das Personal ein – alles in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen, mit denen eine hervorragende Gesprächsbasis besteht. „Wenn es zu Weihnachten einmal staut beim Kekseverpacken, dann steh‘ ich auch mal im Küchengewand da unten und schlichte Kekse. Und wenn inmal keine Reinigung in der Nähe ist, kann ich auch den Besen schwingen. Ich bin da, wo ich gebraucht werde.“ Und vor allem ist sie da, wo sie sein will!

Das Angebot wird laufend angepasst

Um möglichst vielen Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt durch Behinderung oder chronische Erkrankung gebremst werden, so einen Erfolg zu ermöglichen, bemüht man sich „die Teilnehmer*innen zu stärken und Selbstbewusstsein aufzubauen“, weiß Julia Marschan. „Viele wissen nicht, wie sie wieder in den Arbeitsmarkt hineinkommen, die Berührungsängste sind zu groß. Wenn man schon Ablehnungserfahrung gesammelt hat, das ist einfach unvorstellbar schwierig.“ Deshalb setzt QualiTRAIN nicht nur auf Qualifizierung und Bewerbungstrainings, sondern auch auf die Vermittlung in Praktika oder eine Überlassung bei einer*m potenziellen neuen Arbeitgeber*in. In die Bereiche Office und Facility-Service wird besonders viel vermittelt, aber auch in andere Arbeitsfelder, die bei Wien Work angesiedelt sind, wie Digital Media, Renovierung und Instandhaltung sowie Grünflächenbetreuung, Autowäsche oder Textilreinigung. QualiTRAIN beobachtet die Entwicklungen am Arbeitsmarkt sehr genau und passt das Angebot laufend an. Und: nach wie vor ist bei vielen Firmen Aufklärungsarbeit nötig, weil viele Arbeitgeber*innen ein falsches Bild von der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung haben.

Natascha M. war Teilnehmerin beim arbeit plus Wien-Mitglied QualiTRAIN und arbeitet im „Speiseamt“.

„Das tut irrsinnig gut, dass man
so angenommen wird, wie man ist.“
Natascha M.

„Wir versuchen Hürden abzubauen.“
Julia Marschan, QualiTRAIN